Übungspraxis & Anatomie
Interview mit Tamara Hockey – der Pune-Bloggerin
Von Nici Tannert
Als Anfang Januar das Intensive anlässlich des Jubiläums ’50 Jahre RIMYI‘ begann, reisten auch einige deutsche Iyengar YogalehrerInnen nach Pune. Eine tolle Gelegenheit, durch ihre Fotos und Berichte hier im Blog oder auf Instagram auch alle anderen Vereinsmitglieder die großartige Atmosphäre bei den Feierlichkeiten in Indien schnuppern zu lassen. Fotos wurden auch gern geschickt, doch bei den Berichten winkten unsere Leute vor Ort müde ab, als ich danach fragte: „Wir sind so erschöpft nach den Yogaeinheiten beim Intensive. Schau doch einfach auf Tamaras Blog. Da steht alles.“ Das stimmt allerdings. Die Iyengar Yogalehrerin Tamara Hockey aus der Nähe von Bristol in England schreibt seit Jahren detailliert über ihre Pune-Aufenthalte – und die Yogaklassen, die sie dort absolviert. So auch jetzt. Doch ich möchte nicht einfach von ihr abschreiben. Deshalb hab ich sie interviewt:
Tamara: Ja, ich bin immer noch in Pune. Wir hatten eine großartige Klasse mit Abhi heute Morgen. Women’s class.
Ich lese seit Jahren immer mal wieder in deinem Blog, um in die RIMYI-Welt einzutauchen oder mich für meine Übungspraxis inspirieren zu lassen. Es beeindruckt mich, wie detailliert du dich an das Wesentliche einer Klasse erinnerst und wie strukturiert du es wiedergeben kannst. Lass uns von vorn anfangen: Wie bist du zum Yoga gekommen?
Ich bin in jungen Jahren viel gereist und habe dann meine Töchter bekommen. Danach kam ich mit Yoga in Berührung. Das war zur Jahrtausendwende. Ich war 27 und es war das erste Mal im Leben, dass etwas meine Imagination und mein Interesse richtig gepackt hat. So sehr, dass ich es zur Vollzeitbeschäftigung machen wollte. Ich dachte mir: ‚So lange ich das für immer mache, wird es mir gutgehen.‘ Ich habe recht schnell Yogawest gefunden, das größte Iyengar Yogastudio in Bristol, und gefragt, ob ich dort so was wie eine Ausbildung machen kann. Mein Lehrer meinte, ich könnte erstmal damit anfangen, zwei Klassen pro Woche zu besuchen… Nach drei Jahren konnte ich das Teacher Training machen und so wurde ich auf meiner Yogareise recht früh zur Yogalehrerin. Aber was mir damals an Erfahrung gefehlt hat, habe ich mit jeder Menge Enthusiasmus und Leidenschaft wettgemacht.
Was hat dich dazu gebracht, den Blog zu schreiben? Und wann hast du damit angefangen?
Das war bei meinem ersten Besuch in Pune. 2013. Genau genommen hat mich mein Partner dazu gedrängt, nach Pune zu fliegen, obwohl unsere Kinder damals noch sehr jung waren. Dafür bin ich ihm heute noch dankbar. Ihm war klar, dass Guruji inzwischen ein so hohes Alter erreicht hatte, dass ich vielleicht nicht mehr von ihm persönlich lernen könnte, wenn ich nicht bald zu ihm reisen würde. Und bei diesem ersten Pune-Trip war es einfach Intuition. Ich hatte noch nie einen Blog geschrieben.
Ich bin dann dabei geblieben, weil mich immer mehr Leute angesprochen haben: ‚Ich werde nie die Möglichkeit haben, mal selbst nach Pune zu fliegen. Ich kann dir gar nicht sagen, wie viel mir das bedeutet, dass du uns davon berichtest.‘ Andere hat mein Blog inspiriert, selbst mal eine Zeit am RIMYI zu verbringen. Oder es hat ihnen die Angst vor der Reise genommen, weil sie durch den Blog in etwa wussten, was sie erwartet. Das hat mich motiviert weiterzumachen.
Wie schaffst du es, dich so genau an die Klassen zu erinnern, von denen du berichtest?
Anfangs habe ich alles komplett aus meiner Erinnerung aufgeschrieben. Ich habe die Klasse dann meist von hinten aufgerollt, dann fiel mir was vom Anfang ein und dann habe ich die Mitte ausgefüllt… Später habe ich dann festgestellt, dass recht oft Leute im Hintergrund sitzen, die mitschreiben. Und so habe ich damit begonnen sie zu fragen, ob ich das abfotografieren dürfte. Damit hatte ich schon mal die grobe Sequenz und musste nur noch die Details ausarbeiten. Das hat mir die Quälerei erspart, ständig zu überlegen, was als nächstes drankam. Zur Zeit teile ich mir das Apartment mit einer Frau, die ein brillantes Erinnerungsvermögen hat. Sie ist Übersetzerin. Wir haben heute und gestern zusammen gebrainstormt. Ich tippe immer gleich alles, was mir einfällt, in meinen Laptop und setze es dann wie ein Puzzle zusammen. Es ist also ein Mix aus Methoden, manchmal klappt es gut und manchmal weniger.
Wieviel Zeit nimmt das in Anspruch, all das niederzuschreiben nach der Yogastunde? Du machst es doch sicher gleich im Anschluss, oder?
Kommt darauf an. Es ist ganz schön aufwendig… Wenn wir nach einer Abendklasse zurückkommen und etwas essen, dann wird es manchmal ganz schön spät bis ich endlich fertig bin. Aber ich mag die Herausforderung, mich erinnern zu müssen. Während der Pandemie, als alles online stattfand, habe ich über eine Online Convention mit Abhijata gebloggt. Da hatte ich eine Aufzeichnung, durch die ich alles nochmal ansehen konnte, wenn ich unsicher war. Aber das hat mir völlig den Spaß daran verdorben. Es war noch viel mehr Arbeit. Genau genommen habe ich alles transkribiert. Stunden um Stunden. Wenn ich mich nur auf meine Erinnerungen konzentriere und so das Erlebte vereinfache, dann fließt es viel leichter. Es sind nur meine Eindrücke von der Klasse, wie ich sie so gut ich kann erinnere. Ich glaube, das ist der bessere Weg.
Siehst du dir deine Aufzeichnungen im Blog später nochmal an? Oder hilft dir schon das Schreiben an sich, um das Wertvollste davon im Kopf zu behalten?
Doch, ich sehe mir das definitiv später immer mal wieder an. Ich habe früh gelernt, dass es keinen Sinn macht zu versuchen, eine Pune-Klasse später selber unterrichten zu wollen. Speziell eine Abhi-Klasse. Man kann sie nicht kopieren. Das klappt überhaupt nicht. Deshalb probiere ich erst gar nicht, eine solche Sequenz zu unterrichten. Ich sehe sie mir an und überlege, was ich daraus an meine Leute weitergeben möchte. Aber auf meine Weise.
Abhi unterrichtet mit viel Leichtigkeit. Sie kann dich in einer Klasse durch hundert Haltungen bringen, ohne dass du dich erschöpft fühlst. Oft bist du nur ein paar Sekunden in den Asanas. Aber das ist überhaupt nicht meine Art zu unterrichten. Ich lese also gern in den Aufzeichnungen und erfreue mich an den Erinnerungen an die Klassen, aber ich kopiere sie nicht. Das funktioniert nicht.
Wiederholst du es nochmal für dich selbst? In deiner eigenen Praxis? Um es zu ‘verdauen’?
Kaum, um ehrlich zu sein. Ich übe wie jeder andere auch, der den Blog liest. Natürlich probiere ich einzelne Sachen, dir mir hilfreich erschienen sind, aber ich wiederhole keine ganze Sequenz.
Hat der Blog trotzdem einen Einfluss auf die Entwicklung deiner Yogapraxis?
Ich denke, er vertieft mein Verständnis von dem, was unterrichtet wird. Wenn du etwas für andere Menschen niederschreibst, musst du es so erklären, dass es für sie auch verständlich ist. Dadurch verankert sich das Gelernte besser. Ich habe inzwischen ein fast enzyklopädisches Wissen von all den verschiedenen Klassen, die ich in Pune besucht habe. Einfach, weil ich darüber geschrieben, es danach redigiert und ein paar Tage später nochmal gelesen habe, um zu sehen, ob das alles Sinn macht. Und das wirkt sich sicher auch auf meine Praxis aus.
Ich lese gern Sequenzen, weil ich es einfach inspirierend finde. Und dein Blog hat mir oft Lust gemacht, auf die Matte zu gehen und auszuprobieren, was du festgehalten hast. Er motiviert zu üben: ‚Oh, das klingt interessant, das versuch ich mal.‘ Das ist auch ein Grund, warum ich deinen Blog so mag.
Wie sieht denn deine eigene Praxis genau aus? Das frage ich andere Yogaübende sehr gern. Wir kämpfen ja alle mal damit, unsere regelmäßige Praxis im Alltag aufrechtzuerhalten. Wie sieht deine aus?
Ich bin Diabetikerin. Guruji hat mir bei meinem Pune-Besuch 2014 eine Sequenz gegeben, die direkt die Teile meines Körpers anvisiert, die sich am schlimmsten und am schwächsten anfühlen und wo die Energie nur mühsam fließt. Diese Sequenz übe ich seither jeden einzelnen Tag, denn sie macht den Unterschied, ob ich mich gut fühle oder nicht.
Was beinhaltet diese Sequenz denn?
Es geht um die Bauchspeicheldrüse. Die sitzt mittig im hinteren Teil der oberen Bauchhöhle. Und dieser Bereich war sehr eingefallen und dumpf. Guruji hat mich also damals erstmal gelehrt, dahin zu spüren, damit ich sie überhaupt aktivieren und stimulieren kann. Diese Diabetes-Sequenz bezweckt in erster Linie, Energie in diesen dumpfen Bereich zu bringen. Und dann geht es darum, die gesamten Bewegungsmöglichkeiten der Bauchspeicheldrüse durchzuspielen. Zum Beispiel durch Drehhaltungen. Es fühlt sich an, als ob Energie in diesen Bereich geleitet wird. Und es macht einen großen Unterschied für meine Lebensqualität. Das ist also der Kern meiner Praxis.
Wie lang dauert das denn?
Kommt darauf an. Wenn ich die ganze Sequenz akribisch durchgehe, dauert es lang. Aber ich habe mit der Zeit einen Weg gefunden, sie auch kürzer effizient zu gestalten, damit ich sie jeden Tag einbauen kann. Etwa 30 bis 45 Minuten. Und dann baue ich den Rest meiner Praxis darum herum. Gurujis Sequenz ist am Allerwichtigsten und ich bin hochmotiviert, sie täglich zu üben. Wenn ich es tatsächlich mal nicht schaffe, geht es mir einfach nicht gut.
Hast du – davon abgesehen – bestimmte Routinen?
Ich bin ganz klar ein Morning Practitioner. Eine Tasse Tee, duschen, üben. Ich finde es extrem schwer, auf die Matte zurück zu kommen, wenn ich erstmal mit anderen Sachen beschäftigt war. Meine Praxis ist das Erste am Morgen. Wenn ich dann am Abend noch unterrichte oder unterrichtet werde, ist das die Kirsche auf der Torte. Aber meine eigene Praxis ist am Morgen.
Du teilst deine neuen Posts auf Facebook. Bist du auch auf anderen Kanälen?
Ich habe auch einen Instagram Account, aber da habe ich noch nicht so viel vom Blog hochgeladen. Vielleicht kümmere ich mich da jetzt mal drum.
In einem deiner Blogposts hast du geschrieben, dass manche unserer KollegInnen so dankbar sind für deine Arbeit, dass sie dich dafür auch gern bezahlen würden, um ihre Wertschätzung auszudrücken. Das hast du ausgeschlagen.
Ja. Es ist ein Geschenk. Deshalb will ich auf keinen Fall dafür bezahlt werden. Es würde auch die ganze Dynamik verändern: Ich habe einfach Freude daran und gehe es ganz entspannt an. Wenn ich dafür Geld bekomme, dann entsteht auch ein Druck, dass es gut und alles richtig werden muss. Dass ich rechtzeitig fertig werden muss. Das ist aber nicht der Sinn des Ganzen. Ich schreibe in einem Spirit des Gebens und ich möchte nichts dafür.
Hast du von Anfang an mit dem Gedanken an andere geschrieben oder war es zunächst eigentlich nur für dich?
Am Anfang war mir gar nicht klar, wo das hinführen könnte und ob das jemand lesen wollen würde. Ich hatte keine Ahnung, ob es für andere interessant sein könnte oder nicht. Es war mir zum Beispiel überhaupt nicht bewusst, wie viele Leute die Klassen hier mit mir am RIMYI besuchen, die eine andere Muttersprache als Englisch haben. Und obwohl sie Englisch beherrschen, kommen sie gar nicht so schnell mit, alles für sich im Kopf zu übersetzen, was unterrichtet wird. Erst heute Morgen hat mich jemand deshalb angesprochen und gesagt, dass es für ihn so einen großen Unterschied macht, wenn er es im Anschluss an die Klasse nochmal lesen kann und auch das versteht, was untergegangen war. Das ist für mich definitiv eine große Motivation weiterzumachen und zu versuchen so zu schreiben, dass es für diejenigen, die es lesen, klar wird.
Hat sich deine Art und Weise zu bloggen über die Jahre verändert?
Das ist interessant. Ich habe gerade erst in die alten Beiträge zurück bis 2013 gesehen: Ich kann darin richtig meine Entwicklung als Yogalehrerin erkennen. Wie sich mein Verständnis verändert hat, angefangen bei den ersten, sehr kurzen Auszügen einer Sequenz bis zu den sehr viel detaillierteren Beschreibungen heute.
Bei meinen ersten Reisen nach Pune war ich viel unterwegs, habe mir alles angesehen, war ein Wochenende in Goa oder so und habe davon berichtet. In den jüngeren Blogbeiträgen geht es viel mehr um Yoga und die unmittelbare Nähe rund um das Institut. Ich reise also nicht mehr so viel rum, bin aber inzwischen sehr viel genauer bei meinen Verständnis der Klassen.
Führst du außer deinem Blog noch Notizbücher?
Das einzige, das ich in Notizbüchern festhalte, sind meine eigenen Gedanken, meine Kreativität, meine Sequenzen und Klassen.
Was wünschst du dir: Wie sollte dein Blog genutzt werden? Er ersetzt ja auch keine Reise nach Pune, oder wie siehst du das?
Nein. Ich freue mich, wenn andere meinen Blog genauso nutzen, wie du es tust: Als Inspiration für die eigene Praxis. Oder auch als Inspiration für ihren Unterricht. Und ich denke, sie können ihn auch nutzen, um ihr Verständnis von dem, was in Pune unterrichtet wird, weiterzuentwickeln. Denn auch das verändert sich mit der Zeit. Dinge ändern sich. Die Schwerpunkte ändern sich. So können andere Iyengar Yogaübende auf dem Laufenden darüber bleiben, was die Pune-Lehrer gerade für wichtig erachten. Und ich möchte auch den Enthusiasmus teilen, der uns am RIMYI vorgelebt wird. Es ist, als ob man eine Dosis Enthusiasmus, Inspiration und Motivation injiziert bekommt. Und ein bisschen dieser Dosis möchte ich weitergeben.
Vielen Dank dafür. Und für das schöne Gespräch.
Hier geht es zu Tamaras Blog: https://www.yoga-glos.co.uk/blog