Übungspraxis & Anatomie

Anatomie und Physiologie des Herzens

Wirkungsweise von Yogahaltungen auf das Herz

von Dr. med. Herman Traitteur

aus der Abhyasa Dezember 2021

Unser Herz ist eines der wichtigsten Organe des Körpers. Einmal pro Minute pumpt es das gesamte Blutvolumen unseres Körpers durch den Kreislauf und sichert somit die Versorgung aller Organe mit Sauerstoffen und Nährstoffen. Bei körperlicher Belastung ist es im Stande seine Pumpleistung auf das etwa Fünffache zu erhöhen.

Wo liegt das Herz eigentlich und wie funktioniert es? Die genaue anatomische Lage des Herzens befindet sich direkt hinter dem Brustbein und vor der Brustwirbelsäule (Abb. 1). Bewegen wir unsere Brustwirbelsäule nach innen, öffnet und weitet sich das Herz. Im Yoga erfahren wir das in konkaven Vorwärtsstreckungen, Rückwärtsstreckungen oder in liegenden Yogahaltungen, bei denen der Brustkorb unterstützt wird. Direkt unterhalb des Herzens befindet sich unser Zwerchfell, das den Brustraum vom Bauchraum trennt. Die Bewegungen des Zwerchfells bei der Atmung haben eine Wirkung auf die Lage des Herzens und unterstützen dabei seine Pumpleistung.

Stellt man sich die Projektion des Herzens in der Ansicht von vorne vor, liegt das Herz mittig hinter dem Brustbein (Abb. 2). Bei genauerer Ansicht erkennt man dann, dass der rechte Herzrand mit dem rechten Brustbeinrand abschließt, der linke Herzrand aber über den linken Brustbeinrand hinausragt. Das Herz liegt also leicht nach links versetzt hinter dem Brustbein.

Beim Schnitt durch das Herz erkennt man eine linke und ein rechte Herzhälfte mit verschieden muskulären Hohlräumen (Abb. 3). Jede Herzhälfte besteht aus einer Kammer und einem Vorhof. Das rechte Herz pumpt das Blut in die Lunge, wo es mit Sauerstoff angereichert wird. Danach pumpt die linke Herzhälfte das Blut in unseren Körper und versorgt dadurch die Organe mit dem Sauerstoff.

Welche Rolle spielen die Herzklappen und wo liegen sie? Zwischen Vorhof und Kammer sowie zwischen Kammer und dem sich anschließenden Gefäß befinden sich Herzklappen, die wie Rückschlagventile arbeiten. Dadurch fließt das Blut nur in eine Richtung.

Wie kann man sich das genau vorstellen? Ist der Herzmuskel entspannt, fließt das Blut vom Vorhof in die Kammer. (Abb. 4.a). Zieht sich die Kammer bei einer Kontraktion zusammen (Abb.4b), schließt sich die Klappe zum Vorhof und verhindert dadurch einen Rückfluss in den Vorhof. Die Klappe von der Kammer zur anschließenden Arterie hingegen öffnet sich, und somit fließt das Blut in die anschließende Arterie. Sind die Klappen nicht dicht, muss der Herzmuskel für die gleiche Leistung mehr arbeiten. Leichte Klappen-Insuffizienzen kann der Körper in der Regel gut tolerieren, größere Insuffizienzen belasten das Herz.

Wie jedes andere Organ benötigen die Herzmuskelzellen für ihre Arbeit eine ständige Zufuhr an Sauerstoff. Woher bekommt das Herz seinen Sauerstoff? Als erste Gefäße gehen aus der Herzschlagader (Aorta) die beiden Herzkranzgefäße ab, die sich wie ein Kranz um den Herzmuskel legen und verzweigen (Abb. 5). Sie versorgen die Herzzellen mit sauerstoffreichem und nährstoffreichem Blut.

Beginnen die Herzkranzgefäße sich über Ablagerungen zu verengen, spricht man von Arteriosklerose, die umgangssprachlich auch Arterienverkalkung genannt wird. Diese Verengung kann beispielsweise zu Atembeschwerden, Schmerzen im Brustkorb (Angina Pectoris) und weiteren Symptomen führen. Bei einem völligen Verschluss kommt es zu einem Herzinfarkt, bei dem ein Teil des Herzmuskels abstirbt. Dieser lebensbedrohliche Notfall muss sofort intensivmedizinisch behandelt werden.

Wodurch unterscheidet sich der Herzmuskel von einem Skelettmuskel? Ein Skelettmuskel kann willkürlich angespannt oder entspannt werden. Der Herzmuskel zieht sich unwillkürlich zusammen, und zwar rhythmisch. Dieser Rhythmus entsteht im Herzen selbst und kann bei körperlicher Be- und Entlastung über Nervenimpulse und Hormone verstärkt bzw. abgeschwächt werden. Das Besondere am Herzmuskel ist seine Fähigkeit einen Rhythmus zu generieren und innerhalb des Herzens weiterzuleiten. Diesen Rhythmus können wir über unseren Puls wahrnehmen. Die dabei entstehenden Ströme kann man messen (Elektro-Kardio-Gramm = EKG). Anhand eines EKGs kann man Rückschlüsse auf die Gesundheit und Belastbarkeit des Herzens schließen. Sind Rhythmusbildung und Weiterleitung gestört, spricht man von Herzrhythmusstörungen.

Kann sich unser Herzmuskelgewebe im Laufe des Lebens regenerieren? Entgegen früheren Annahmen bildet der Mensch im Lauf seines Lebens neue Herzmuskelzellen, allerdings nur in begrenztem Ausmaß. Im Alter von 25 Jahren beträgt die jährliche Regeneration etwa ein Prozent, bis zum 75. Lebensjahr fällt sie auf unter 0,5 Prozent. Während einer durchschnittlichen Lebensspanne werden damit weniger als 50 % der Herzmuskelzellen ersetzt.

Wirkungsweise von Yogahaltungen auf das Herz

Unterschiedliche Yogahaltungen haben unterschiedliche Wirkung auf das Herz. So wirken dynamische Serien wie das Sonnengrüße, Stehhaltungen und Rückwärtsbeugen anregend auf das Herz. Die Pumpleistung des Herzens nimmt zu. Auch die Stellung der Arme hat eine Wirkung auf das Herz – Haltungen, in denen die Hände und Arme nach oben genommen werden, belasten das Herz mehr als Haltungen, in denen die Hände unten bleiben. Die Belastung unseres Herzens spüren wir eher indirekt – zum Beispiel anhand unserer Atmung. Nimmt die Atemfrequenz zu, schlägt in der Regel auch das Herz schneller. Wird uns bei körperlicher Anstrengung wärmer und beginnen wir zu schwitzen, ist das meist auch ein indirektes Zeichen dafür, dass unser Herz mehr arbeitet. Für ein gesundes Herz ist es wichtig, immer wieder angeregt und im positiven Sinne belastet zu werden. Bleibt unsere Atmung bei anstrengenden Yogahaltungen ruhig, schützt uns dies vor einer Überbelastung unseres Herzens.

Ist das Herz beeinträchtigt bzw. Teile des Herzens erkrankt, so muss dies medizinisch abgeklärt und behandelt werden. Die Yogapraxis sollte entsprechend angepasst werden.
Es gibt im Iyengar Yoga spezielle Sequenzen von modifizierten Haltungen, die dem Herzen ermöglichen, sich zu regenerieren. Hier wird der Körper in eine Lage zu versetzt, in der die Selbstheilungskräfte optimal wirken können. Claudia Böhm zeigt hier eine Sequenz von modifizierten Yogahaltungen, die bei Herzproblemen geübt werden können (siehe Seite …).

Für das Herz spielen dabei unterstützte, liegende Yogahaltungen (Suptas) eine besondere Rolle. Die Unterstützung und Öffnung des Brustkorbs führen zu einer Unterstützung und Öffnung des Herzens. In dieser Position arbeitet das Herz optimal, ohne dass es sich dabei anstrengen muss. Über eine Weitung der Herzkranzgefäße kommt es zusätzlich zu einer verbesserten Durchblutung des Herzens.

Die beiden liegenden Haltungen Supta Svastikasna und Supta Baddha Konasana haben eine entspannende Wirkung auf den Bauch- und Beckenraum, was u.a. zu einer Beruhigung der Atmung führt.

Eine weitere liegende Haltung ist Cross Bolster Setubandha Sarvangasana. Besonders hier ist neben der Brustkorböffnung der Kinnverschluss, der eine beruhigende Wirkung auf den gesamten Organismus hat. Die vertiefte Entspannung beruhigt auch das Herz.

Eine äußerst wohltuende Haltung ist Salambha Purvottanasana. Die besondere Lagerung des Körpers und die feine Öffnung der Herzregion führen zu einem Entspannungszustand, bei dem das Herz sich weiter regenerieren kann. Die Übenden erleben dabei oftmals ein Gefühl von Schwerelosigkeit.

Auch Umkehrstellungen können geübt werden, wie zum Bespiel Schulterstand auf dem Stuhl. Hier wirkt wiederum der Kinnverschluss als beruhigender Mechanismus. Das Herz ist höher gelagert als der Kopf, was die Blutzufuhr zum Gehirn erleichtert. Besteht neben einer Herzerkrankung ein Bluthochdruck (Hypertonus) sollten Umkehrstellungen zunächst einmal weggelassen werden. Diese können dann wieder geübt werden, wenn der Blutdruck erfolgreich behandelt wurde und sich langfristig normalisiert hat.

Eine punktuelle Öffnung der Herzregion bewirkt Bhishma Mitrasana – diese Haltung wird gegen Ende einer Herzsequenz geübt.

Zum Abschluss möchte ich noch etwas zur Brutkorböffnung sagen. Bei Herzpatient_innen ist zumeist die ganze Brustkorbregion verkrampft und verkürzt. Das ist eine natürliche Schutzreaktion des Körpers, um die geschädigte oder kranke Region des Herzens zu schützen. Nach chirurgischen Eingriffen ist diese Reaktion besonders stark. Zusätzlich bildet sich nach Operationen am Herzen ein Narbengewebe, welches den Brustkorb noch weiter einengt.

Die Öffnung des Brustraums ist aber für die Heilung des Herzens essenziell. Wird der Brustraum durch Yogahaltungen jedoch zu schnell und zu stark geöffnet, passiert das Gegenteil, alles zieht sich gleich wieder zusammen, verengt und belastet das Herz. So ist es bei der Auswahl der Yogaübungen und besonders bei deren Unterstützungen wichtig, die angemessene Brustkorböffnung zu erreichen. Bei den unterstützten liegenden Haltungen zum Beispiel sollte man erstmal ein flaches Polster unter dem Brustkorb verwenden und/oder sogar die die Arme unterstützen, damit die Öffnung der Brustregion nicht zu stark wird. Wird die Brustkorböffnung von den Übenden gut toleriert, kann man die Öffnung vergrößern. Wenn der gesundheitliche Zustand der Übenden es erlaubt, können und sollten langfristig (nach Jahren) auch aktive Rückwärtsbeugen nach einer Herzerkrankung geübt werden. Hierbei kommt es auf die entsprechenden Zwischenschritte und die Entwicklung der jeweiligen Yogapraxis an.

Die Abbildungen und einige Textauszüge stammen aus dem derzeit entstehenden neuen Buch „Yoga Asana Physiologie“ von Dr. med. Hermann Traitteur.

Weiterführende Literatur zur Regenerationsfähigkeit der Herzmuskelzellen:

https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC2991140/