Philosophie

Welche Rolle spielt Asana im Kontext der Yoga-Philosophie?

Von Georgie Grütter

Ursprünglich erschienen in der Abhyasa, Dezember 2008

Asana (Sanskrit: as = sitzen, sein, bleiben), bestimmte Haltung, Körperhaltung, Sitzstellung, u.a. der dritte Aspekt im Astanga Yoga des Patanjali.

Die Übungspraxis des Hatha-Yoga basiert traditionell auf der Körperübung, der Asana–Praxis, d.h., der menschliche Organismus ist das universale Alpha und Omega des Sadhaka, ein lebenslang wohlwollend zu pflegendes, zu kräftigendes und zu kultivierendes Kapital, das Medium an sich für die angestrebte spirituelle Entwicklung hin zum Wesen des eigenen Selbst. Auf ihm baut sich alles auf und von ihm, seiner Gesundheit, Robustheit, Belastbarkeit und Langlebigkeit, ja Verfeinerung und Vervollkommnung, hängt alles ab.

Der Hatha-Yoga ist im Wesentlichen eine psychologisch fundierte Philosophie des Körpers und vertraut auf dessen Intelligenz, die es z.B. vermag, die Seele atmen und den Geist bewusst werden zu lassen. Er lehrt uns, den Bogen richtig zu spannen. Jener Bogen, unser Körper, ist in diesem Kontext zentrales Instrument, bespielbarer, beherrschbarer Mikrokosmos, ein gewaltfrei zu schleifender Diamant, Gefäß für den Geist, Geschenk und Tempel Gottes.

„Eine Seele ohne Körper gleicht einem Vogel, der nicht mehr fliegen kann.“ (BKS Iyengar, Licht auf Yoga)

Asanas dienen nach Iyengar allein der Kultivierung und Zähmung der Gedanken auf dem Weg zurück zu Purusa. Der Körper ist nicht mehr vom Ewigen getrennt, er vermag es, auf Forderungen des Geistes zu reagieren. Iyengar spricht von der Notwendigkeit der Selbstbeherrschung und fordert von jedem Übenden die Bereitschaft zur geistigen Zucht, den Blick auf das Wesentliche. Alles komme hierbei, wie schon Patanjali betont, auf das Wie der Haltung an. Der Sadhaka müsse im Feuer der Yogaschulung gehärtet, gestärkt und gereinigt werden, bis es spontan zu citta-vritti-nirodah komme.

Patanjali, Yogasutra, 2. 46 – 48:

sthira–sukham–asanam

Die Sitzhaltung soll fest/stabil und angenehm/leicht sein.

prayatna–saithilya–anantya–samapattibhyam

Diese Sitzhaltung soll man in völliger Entspannung und in einem Zustand der Betrachtung des Unendlichen einnehmen.

tato–dvandva–anabhighatah

Daraus ergibt sich eine Unempfindlichkeit den Gegensatzpaaren gegenüber.

Welche Qualitäten machen nun aus einer Haltung ein Asana?

Nach Patanjali führt das Einnehmen von Asana im Zusammenspiel mit den übrigen Gliedern des Yogawegs zu differenzierterer Wahrnehmung des Wechselspiels von körperlichem Zustand und seelisch-geistigem Empfinden. Es führt zu mehr Gelassenheit und Unbeeinflussbarkeit gegenüber objektiven und subjektiven Gegensatzpaaren, wie z. B. Sieg und Niederlage, Ruhm und Schande oder auch Körper und Verstand.

Es ist ein staunender Blick auf das Geheimnis des eigenen Körpers und dessen subtiler Intelligenz beim Gewahrwerden seines, von Nadis und Cakras gebildeten, feinstofflichen Leibes. Die Körperarbeit mit den Qualitäten Festigkeit und Leichtigkeit, das Beherrschen einer Haltung mit einem Minimum an Anstrengung und einem Maximum an Stabilität dienen als Vorbereitung auf das eigentliche Ziel, der Stärkung des Körpers und der Schulung des eigenen Selbst. Die Sitzhaltung soll so eingenommen werden, dass Nacken und Schulter ebenso wie Gesicht und Augen entspannt sind und die Sitzknochen geerdet.

Das Mittel ist die psychomentale Ausrichtung, die Fähigkeit zum Ausräumen von Hindernissen während der Haltung. Nur so werden langsam in einem langen Prozess des Übens von Asanas jene Hüllen durchdrungen und beseitigt, die den Ich-Kern verstellen bzw. verdecken.

„Asana is perfect firmness of body, steadiness of intelligence, and benevolence of spirit.“ (BKS Iyengar, Light on Life, S. 27)

Im Yoga ist Wahrheit an Erkenntnis gebunden. Körper und Geist sind untrennbar und wechselseitig miteinander verknüpft, entsprechen sich so sehr, dass die meisten geistigen oder psychischen Phänomene, wie z.B. Lebenshaltungen oder Gemütszustände, körperliche Entsprechungen besitzen. Das yogische Ideal ist der Zustand der Einheit von Mensch und Welt, der harmonischen Integration von Körper, Geist und Seele. Welterkenntnis ist demgemäß Selbsterkenntnis und beide handeln vom leidvollen irdischen Dasein, dessen Verstrickung in Unwissenheit und Selbsttäuschung es zu durchschauen gilt. Der Körper wird sozusagen als ‚unrein‘ angesehen. Und da dessen eigentlicher Bewohner jene Seele ist, von der Iyengar spricht, gilt jeder Akt von Reinigung des Körpers, seiner Organe, Drüsen und Zellen mittels Asana als Ausdruck der Achtung vor der Wohnstatt der Seele. Sie wiederum ist gleich bedeutend mit einer Klärung des Bewusstseins, vermag doch der Körper geistige Prozesse zu initiieren und umgekehrt.

In den Momenten des präzisen Übens von Asanas werden alte Gewohnheiten des äußeren Körpers erspürt, Asymmetrien und Verspannungen in den einzelnen Körperteilen ausgemacht, eine innere Dynamik setzt hinter der statischen Pose ein, so dass sich jede Zelle bewusst mit neuem Leben füllen kann.

„If one stretches completely, one relaxes completely. Look at a cat, a master of stretching and a master of relaxation.“ (BKS Iyengar, Light on Life, S. 40)

Es kommt dabei (bei erfahrenen Sadhakas) inmitten der Aktion des sich Streckens, Drehens und Dehnens zu einem entspannten schwerelosen Fluss, Atmung und Gedanken beruhigen sich, die Sinne gehen nach innen in subtilere Schichten des Körpers, ein Gefühl der Leichtigkeit entwickelt sich, ein konzentrierter Dialog zwischen Körper, Sinnen, Atem und Bewusstsein findet statt und unbewusste Blockaden beginnen sich zu lösen.

Wie ist der Prozess genau zu verstehen?

Du gehst in eine Haltung, schaffst die Basis, verwurzelst dich und dann wächst du immer weiter in die Länge. Es gibt kein Ende in der Dehnung. Auch wird sie nicht vorzeitig von der Schwerkraft beendet. Du bist konzentriert auf einen einzigen Punkt ausgerichtet und verharrst an der Basis, berührst die Wurzel. Wir können ewig weiter in eine Haltung eintauchen und aus ihr auftauchen und uns dabei in den unendlichen Bewusstseinsraum ausdehnen. Die Balance bleibt erhalten, rechte und linke Körperhälfte befinden sich im Gleichgewicht, der äußere Ausdruck der Haltung bleibt bestehen und die innere Wirkung stabil. Alle Stehstellungen beziehen sich auf dieses Gefühl des permanenten Abhebens bei gleichzeitiger Verwurzelung. Beides ergibt in der Summe eine Erfahrung der Zeitlosigkeit, des puren Seins, der Verschmelzung von Innen und Außen.

Es mag sein, dass wir noch nicht imstande sind, unser Bewusstsein auszudehnen, aber wir können zum Beispiel unseren kleinen Finger strecken und von da aus analog schließlich auch das Bewusstsein. Es geschieht eine bis dahin unbekannte Ausdehnung von Präsenz, von Gewahrsein.

Die unterschiedlichen Asanas geben uns auf verschiedene Art und Weise Wissen über die unterschiedlichsten Energieformen. So ist Selbsterkenntnis in einem ‚aktiven‘ Asana wie Ardha Chandrasana etwas völlig anderes als die in einer ‚passiven‘ Stellung, wie  z. B. in Pascimottasana. In ersterer erfahren wir Stabilität und Wendigkeit und in letzterer die Fähigkeit zur Hingabe, zum Loslassen. Diese Erfahrungen ergreifen das ganze Menschenwesen, nicht nur seine körperlichen oder intellektuellen Funktionen.

Die Haltung ist die äußere Manifestation der Integration von Körper, Geist und Seele, eine Offenbarung dessen, was schon da ist, was immer schon existiert hat.

Wird der Körper schwach oder ernstlich krank, so stellt er laut Patanjali ein schweres Hindernis dar auf dem Weg des Übenden nach innen. Körperliche und seelische Gesundheit nun, Lebensfreude und Fitness, aktive Selbstverantwortung für das eigene allgemeine Wohlbefinden, Gelenkigkeit und Stressresistenz stellen aber im Leben eines Yogaübenden keinen Selbstzweck dar, sondern sind nach uraltem Yoga- und Asanaverständnis lediglich ein erster Schritt, sind Mittel zum eigentlichen Zweck. Sie legen das notwendige Fundament für jenen tiefgründigen, über und mitten durch den Körper verlaufenden Wandlungsprozess des Bewusstseins in Richtung Loslösung von Gebundenheit, Verstrickung und Leid.

Der Zweck von Asana ist Atma Darsana, die Schau des Selbst.

Der äußere Vollzug von Asana ist dabei das eine. Worauf es aber ankommt, ist der innere.

Nur über ihn, den inneren Vollzug, erfährt der Übende, was mit Yoga und damit der Praxis von Asana eigentlich gemeint ist.

„Erkenne, o Freund, das Wesen der Welt, damit sie dir niemals Leid zufüge.“ (Chandogya-Upanisad)

Dennoch besticht Yoga oder besser das Üben von Asanas, z.B. im Rahmen öffentlicher Gesundheitsförderung und –bildung, durch prophylaktische und therapeutische Effekte.

Nicht die Krankheit steht im Vordergrund, sondern der kranke Mensch, der nach und nach lernt, für sich selbst einstehen zu können. Es geht also langfristig um Hilfe zur Selbsthilfe, um die Schaffung einer Basis für mentale bzw. spirituelle Entwicklung der Persönlichkeit mittels Veränderung von Verhaltensmustern und Wahrnehmungsformen im kranken Menschen.

Jede Arbeit am Körper, egal ob gesund oder krank, wie etwa das präzise und bewusste Hineingehen in ein Asana, ist Arbeit an der Seele, ist Wachstum unserer inneren Freiheit.

Asanas wirken in Kombination mit Meditation und Atemwahrnehmung bei bestehenden psychosomatischen Beschwerden, wie vegetativen Dystonien, äußerst entspannend. Schwache oder unbewusste Bereiche des Körpers werden gestärkt bzw. vitalisiert, Schmerzen gelindert und vorgebeugt. Der Geist wird wachsamer gegenüber Gefahren und Risiken. Er beginnt Erfahrungen zu machen bzgl. der Innendynamik, der Tiefenschichten seines Körpers und seines Geistes und findet zu mehr Geduld, Ausgeglichenheit und Kraft im vom Stress beherrschten Alltag.

„We are always trying to progress, but inner cooperation is essential.“ (BKS Iyengar: Light on Life, S. 29)

Letztendlich üben wir im Asana, vereint zu sein, Körper, Geist und Seele in jenem Augenblick der Pose miteinander in Einklang zu bringen, ohne dass vergangene Eindrücke sich einmischen können. Wir üben im Körper via Asana jene philosophischen Wahrheiten ein, die uns von Patanjali in seinem Yoga-Sutra präsentiert wurden. Die Wirkungen des regelmäßigen Übens, hierbei besonders die psychomentalen Effekte, betreffen das menschliche Leben in allen seinen Facetten und Aspekten, sind also auch praktisch und alltäglich, helfen uns auf pragmatische Weise im Leben zu bestehen, uns auch im so genannten Kleinen frei zu machen von Ich-Sucht, Anhaftung und Illusion.

Das Üben verleiht uns Konzentration, Festigkeit und Disziplin und ein Mehr an emotionaler Spannkraft, z.B. wenn wir mit unseren Kindern Probleme ausfechten oder wir an einem Scheideweg stehen und Stabilität benötigen in der Fähigkeit, uns inmitten einer Konfrontation zurückzuziehen oder auch mit Mut nach vorne zu preschen, wenn es uns als notwendig erscheint.

Schmerz oder Angst in einer Haltung wie z.B. Viparita Dadasana aus Sirsasana zu erfahren und zu überwinden, erlaubt uns auch, im alltäglichen Leben Angst zu reduzieren oder gar gänzlich zu überwinden, bzw. deren Wurzeln noch besser zu verstehen oder tiefer zu ergründen. Im Laufe des Übens kommt es somit zu einer Verinnerlichung, die Seele, der Kern meines Selbst, wird erspürt, etwas anfänglich Mühsames wird im fortgeschrittenen Stadium auf einmal mühelos. Wir schauen unsere Welt zunächst durch das Prisma des Ego an. Nichts scheint uns natürlicher. Im Prozess des Übens verändert sich dies. Unser Ego schmilzt. Wir gehen durch das innere Drama unserer Existenz und beginnen, Situationen und Menschen so wahrzunehmen, wie sie sind, und nicht mehr, wie wir meinen oder hoffen, dass sie sein mögen. Ich erkenne, dass meine Reaktionen Gewohnheiten sind, die ich loslassen kann.

„Wer alle Wesen im Selbst sieht / Und sein Selbst in allen Wesen / Der hasset nicht mehr / Erleuchtung heißt, das eigene Selbst / Im ganzen Weltall finden / Überwunden hat Wahn und Sorge / Wer überall die Einheit sieht.“ (Isa-Upansiad)

„The conundrum of body is the starting point in yoga from which to unravel the mystery of human existence.“ (BKS Iyengar, Light on Life, S. 118)

Welche Rolle spielt Asana im Kontext der Yogaphilosophie?

Werfen wir einen Blick auf den Asana-Begriff (as= sitzen, sein, bleiben, also bestimmte Körperhaltung/Sitzstellung oder Haltung – in eine Haltung gehen und in ihr arbeiten) stellen wir fest, dass er in der Geschichte des Yoga sehr weit zurückreicht. Der klassische Asket war Yogin, ein Tapasvin, langhaarig, nackt, ein Keshin, ein Entsagender, der ekstatisch die Welt, seinen Körper, das Feuer und das Gift ertrug. Er war jemand, der seinen Geist, sein inneres Feuer willentlich bis zur äußersten Grenze trieb. Er suchte in der Zurückgezogenheit aus eigener Kraft Bewusstseinszustände zu schaffen, die ihm das erlösende Wissen offenbaren sollten. Körperliche als auch geistige Askese waren hierbei stets Mittel auf der Suche nach dem Erwachen aus der Unbewusstheit hin zur Erfahrung der ursprünglichen Existenz in der Tiefe des Herzens, hin zu der Wahrheit über das, was wirklich frei macht. Das Ziel war das Anjochen der Einzelseele an das Göttliche, Brahman, den Urgrund der Götter- und Menschenwelt, das Einsseinwollen mit dem, was größer ist als wir und gleichzeitig Teil von uns.

Der Körper, positiv gekennzeichnet als spirituelles Erfahrungszentrum, als Ort der Versöhnung der Gegensätze, existent als ein Innen und als ein Außen, bespielbar wie ein Instrument und yogisches Mittel zur Erreichung spiritueller Verheißungen, stellt ein Vehikel dar, ein Vehikel mit unendlichen Möglichkeiten des Gebrauchs, auch in Hinblick auf seine Relativierung oder Entwertung. Es gilt das Sowohl-als-auch. Er lässt sich kasteien, verdammen und ignorieren, aber auch verehren und verfeinern. Er lässt sich trainieren und ausrichten, drehen und dehnen, öffnen, umkehren, beugen und strecken. Er ist fähig zum Kopf- und Schulterstand, er ist ebenso fähig komplexe Asanas zu praktizieren, als auch regungslos in der Meditationspose zu verweilen, im sogenannten Mulabandhasana, einem klassischen Yogasitz.

BKS Iyengar in Mula-Bandhasana, RIMYI Archiv

In letzterer Pose verharrt ein „gehörnter“ Yogi, ein heiliges und von Tieren umringtes Wesen, gefunden im Industal bei Ausgrabungen in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts. Es handelt sich dabei wahrscheinlich um Gott Siva, den Herrn der Yogins, dargestellt auf einem etwa 5000 Jahre alten Speckstein, dem sogenannten Pashupati-Siegel. Er sitzt auf seinen aneinander gelegten Füßen, die so gedreht sind, dass die Fersen nach oben zeigen.

In der Katha-Upanisad (ca. 7. Jh. v. Chr.), nach G. Feuerstein (1) „die älteste, explizit von Yoga handelnde Upanishad“, wird der Körper in Vers 3 mit einem Wagen verglichen, der durch die Sinnesorgane, die Pferde, hin- und hergezogen wird.

Es im Yoga verstehen zu wollen, mittels Asana mit dem Körper richtig umzugehen, ist dasselbe wie die Kunst, ein Pferdegespann zu lenken:

„Erkenne dein Selbst als den Besitzer des Wagens, deinen Körper als den Wagen, deinen Verstand als Wagenlenker, das Denkprinzip als Zügel.“

Im Vers 2.8 der Svetasvatara Upanisad (3. oder 4. Jh. v. Chr.) finden wir eine der ältesten schriftlichen Überlieferung der Beschreibung eines Asana:

„Den Körper dreifach gerade aufgerichtet, / Denken und Sinne im Herzen verdichtet: / Das Brahman-Floß, es trägt den Weisen gut, / so überwindet er die tiefe Flut.“

Kopf, Hals und Oberkörper stellen besagte drei Teile dar, während mit dem Terminus ‚gerade aufgericht‘ die Wirbelsäule gemeint ist. Der meditierende Yogi reckt seinen Oberkörper hoch, damit der Geist wach bleibt und seine Mühen Früchte tragen können. Die Position der Beine bzw. der Arme wird in dem Text außer Acht gelassen.

Eine erste genauere Definition von Asana gibt Patanjali. Sein Yoga–Sutra (ca. 400 vor – 200 n.Chr.) ist ein Astika, ein orthodoxes Lehrsystem und gehört zu den sechs fundamental bedeutsamen Texten der antiken indischen Geistesgeschichte. Patanjali steht für den klassisch-philosophischen Yoga, den eher asketisch und meditativ orientierten Astanga Yoga, jenem achtgliedrigen Übungsweg, dessen dritte Stufe Asana repräsentiert und die mittels drei Sutren bestimmt wird. Eine Körperhaltung, so Patanjali, wird erst dann zu einem Asana, wenn sie sowohl feste als auch gelöste Qualität besitzt. Vereinen sich darüber hinaus besagte Qualitäten mit Konzentration und Bodenständigkeit, kann sich das nach innen gerichtete Bewusstsein in den unendlichen Raum ausweiten und die Gegensätze überwinden.

Asana ist in der Philosophie bzw. Psychologie Patanjalis kein Selbstzweck. Es dient der Selbstbeobachtung, der Schau des Absoluten durch die Entwicklung einer Unterscheidungsfähigkeit, die uns in die Lage versetzt, zu erkennen, was wirklich ist.

Im sechsten Gesang der Bhagavadgita (ca. 200 n. Chr.) stoßen wir auf den Begriff Asana. Es wird aber darunter keine konkrete Hatha-Yoga-Pose verstanden, sondern Asana meint abermals den Meditationssitz, beschreibt den Sitzplatz eines Yogin:

„An einem sauberen Ort für sich, / soll er einen festen Sitz hinstellen, / nicht zu hoch und nicht zu niedrig, / Stoff, ein Fell und Gras drauf.“ (Vers 11)

„Dort, den Geist auf einen Punkt gerichtet, / Denken, Sinne, Tun gezügelt, / sich niederlassend auf dem Sitz, / übe er Meditation, zur Läuterung des Selbst.“ (Vers 12)

„Von beruhigtem Selbst, frei von Furcht, / im Keuschheitsgelübde fest, / den Geist zügelnd, mein gedenkend, gesammelt, / sitze er, in mir das Höchste sehend.“ (Vers 14)

„So übend immerdar sein Selbst, / gelangt der Meditierende, der Yogin, gezügelten Geistes / zum Frieden, der im Nirvana als Höchstem besteht / und in mir seine Stätte hat.“ (Vers 15)

„Wie eine am windstillen Ort befindliche Lampe / nicht flackert  –  dieser Vergleich gilt vom Andächtigen, vom Yogin, / der mit gezügeltem Denken sich der Meditation über das Selbst hingibt.“ (Vers 19)

Wurde der Körper zuvor eher als Hindernis angesehen, entwickelte sich in der Yogaphilosophie ab dem 4. Jh.nach Christus unter dem Einfluss tantrischer Schulen eine neue Wertschätzung desselben. Zu nennen wären hier Namen wie Matsyendra und Goraksa. Das Bejahen der körperlichen Sphäre, d.h., Asana-Arbeit als Mittel der Vereinigung von Ha = Sonne / Innen / Bewegung mit Tha = Mond / Außen / Intuition, stieß auf breite Resonanz. Hatha-Yoga als Asana-Praxis und gangbarem spirituellen Übungsweg wurde im Laufe der Jahrhunderte populär und erfolgreich, da praktikabel für beinahe jeden.

Das Wesen des Körpers: Woraus und wodurch ist er?

Die mystische Schau wird Teil des diesseitigen Lebens. Das Göttliche wird durch die Kultivierung des Körpers, durch die spirituelle Übung des Asana im Hier und Jetzt erfahrbar. Erleuchtung findet körperlichen Widerhall in der Suche des Menschen nach Frieden, Harmonie, Freiheit und Glück. Die Frage nach dem Wesen des Körpers, verstanden als Mikrokosmos, als Basis der Wahrnehmung und der Erkenntnis, rückt in den Vordergrund.

Die materielle Welt, ihre unendliche Vielfalt und schöpferische Energie, die Körperlichkeit des Menschen, Körper- und Asana-Arbeit stehen für Wahrheit und erlösendes Bewusstsein, für Schönheit, Wissen und Einheit, für etwas, wie Boris Tatzky (2) einmal zutreffend bemerkt hat, „das man tue, um innerhalb unserer Dualität den Zustand der Einheit zu verwirklichen.“

Innerhalb des sivaitischen Tantrismus entstand somit im Laufe der Zeit der an der spirituellen Asana-Arbeit orientierte Hatha-Yoga und es kam im Laufe seiner facettenreichen Entwicklung zur Publikation von zumeist eher technisch orientierten Übungsanweisungen mit zahlreichen Darstellungen und Auflistungen der Asanas.

Das Sanskritwort Hatha bedeutet wörtlich intensive Kraft, ein sich Einlassen mit Haut und Haaren und meint im Kern die effektive Kultivierung einer körperlichen Anstrengung durch das Üben bestimmter Asanas. Gefordert wird ein energiebetonter Umgang mit dem Körper und seinen spirituellen Möglichkeiten. Philosophische Überlegungen spielen in diesen Texten eine eher untergeordnete Rolle.

Aus der Blütezeit des Hatha-Yoga, dem 15. Jh., stammt die Hathayogapradipika des Svatmarama. Sie liefert eine Auswahl von Asanas unter dem Aspekt der Gesundheit. Für Svatmarama gilt, lange jung zu bleiben und Alter, Krankheit und Tod so weit wie möglich hinauszuschieben.

Im Übungsprozess ist für ihn dabei Hatha-Yoga undenkbar ohne Raja-Yoga und umgekehrt:

„Man nehme eine feste Sitzhaltung ein, lege die Hände wie Schalen ineinander und strebe kraftvoll mit dem Kinn zum Brustbein, während man sich in der Betrachtung dessen, was im Herzen ist, vertieft. Ein ums andere Mal lasse man die Energie aufsteigen, ein ums andere Mal lasse man sie absteigen. Wer das macht, der wird erweckt.“ (3)

Ältester Text des Hatha-Yoga ist die Goraksha-Sataka, ein Werk aus dem 11. oder 12. Jh. n. Chr. In ihm taucht das erste Mal der Begriff Hatha-Yoga auf. Andere wichtige schriftliche Zeugnisse sind die Gheranda-Samhita (etwa Ende des 17.) und die Siva-Samhita, datiert etwa auf das frühe 18. Jahrhundert.

Denkt man Yoga vom Körper aus, betrachtet man den spirituellen Einsatz von Körperhaltung bzw. Körperbewegung, stößt man auf die in den Upanisads angelegte Vorstellung des aus Nadis und Cakras zusammengesetzen feinstofflichen Leibes. Es fließt, so die Vorstellung, Energie durch ein Netz von Körperkanälen. Diese Energie ist durch Körperarbeit erfahrbar. Jene Energieströme verdichten sich in Zentren, wie jene in der Mitte des Herzens oder der Wirbelsäule. Diese Zentren sind Orte der Erfahrung des Absoluten im Körper selbst und sie stellen im Rahmen der Entwicklung des Asana-Begriffs einen bedeutsamen Meilenstein dar.

Körperhaltung und feinstoffliches Energiekonzept, Asanas und Tiefenerfahrung bzw. Erleuchtung sind also im wesentlichen Synonyme.

„Yoga ist das Einssein der Seele mit dem Allgeist.“ (Kularnava-Tantra)

Wirft man einen Blick auf die Namen der in den Hatha-Yoga-Schriften aufgeführten Asanas – sie umfassen u.a. Götter, Heilige, Tiere, Pflanzen und Mineralien -, dann stellt man fest, dass in ihnen der Grundgedanke des Yogasystems zum Tragen kommt, nämlich dass der universelle Geist in allen Dingen existiert und allen Erscheinungsformen deswegen der gleiche Respekt zu zollen ist.

Fast jeder Yoganeuling erfährt auch heutzutage in den ersten Übungsstunden, dass eine bestimmte Dehnung in irgendeinem Asana nicht nur eine Streckung da und dort bedeutet, sondern eine Verbindung in die Tiefe des Seins zu besitzen scheint. Jedes Asana stellt einen bestimmten Bereich unseres Lebens dar, entspricht als Abbild des Ganzen einem Aspekt von uns, einem Raum im Inneren von uns und eröffnet uns damit einen Weg nach innen zu größerer Bewusstheit. Treten wir mit dem Körper in Kontakt, so treten wir mit dem Universum in Kontakt, wir lernen uns kennen, dringen ein in die tiefsten Schichten unseres Seins, unseres Erlebens bis hin zum Hören des inneren Klangs, wir erkennen, was ist, und je präsenter wir werden, um so leichter fällt es uns loszulassen.

Und so wie sich der gesamte Lebensprozess unaufhörlich im Wandel befindet, so hat sich auch die Welt des Yoga im Laufe der Jahrhunderte schöpferisch weiterentwickelt, analog den verschiedensten gesellschaftlichen Bedürfnissen und im Zusammenspiel mit der Evolution des philosophischen und wissenschaftlichen Denkens und Forschens auf unserer Erde.

„Body is the bow, asana the arrow and soul is the target. Your body is the child of the soul, you must nourish and train your child.“ (BKS Iyengar)

BKS Iyengars präzise und nüchtern-pragmatische Methodologie hat in diesem Kontext viel zur Erneuerung und Entmystifizierung des Yoga beigetragen. Er versteht Körper und Geist als untrennbare Einheit und unterscheidet nicht zwischen körperlichem und spirituellem Yoga, denn, so lautet die Frage, wo endet der Körper und wo beginnt die Seele?

Im Iyengar-Yoga kommt der Arbeit am äußeren und inneren Körper größte Bedeutung zu. Begriffe wie Yoga und Asana sind Synonyme geworden.

Das Üben kultiviert das Bewusstsein und stimuliert die Intelligenz der Zellen.

So wie im Yogasystem des Patanjali die Bewegungsrichtung vom Groben zum Feinen geht, so auch in jedem einzelnen Asana. Das ist die Rolle, der Zweck des Asana, seine Philosophie.

Anfänglich ist die Aufmerksamkeit bei den leichter durchschaubaren Elementen, wie etwa den Gelenken und der aufgewendeten Muskelkraft. Man konzentriert sich auf die Schwierigkeiten beim Halten eines Asana, erkennt nach und nach die Ursachen, stellt fest, dass eine Hemmung oft auf mentaler Ebene liegt und findet damit einen Zugang, eine Möglichkeit zur Überwindung des Problems. Mit zunehmender Praxis und Erfahrung wächst das Bewusstsein über bestimmte Fehlhaltungen, die oft einhergehen mit bestimmten Einstellungen, die dann korrigiert werden können. Damit wird der Körper mehr und mehr zum geeigneten Instrument für das Gewahrwerden innerer Abläufe. Blockaden werden abgebaut und die Energie kann frei fließen.

Warum Yoga, warum Asanas?

Den wirklichen Yoga findet man dann auch nicht in den oben genannten Schriften, in modernen Publikationen zum Thema oder als Verheißung in festgeschriebenen Lehrsystemen. Man findet ihn im Herzen des Übenden, im Wie einer Haltung.

Wichtig hierbei ist Hingabe, selbst vergessene Ergebenheit, damit Asana nicht bloße Technik ist, sondern als Zustand einer fragilen Stille in der Bewegung lebendig bleibt und authentisch.

Asana kann somit zu einer Philosophie des praktischen menschlichen Lebens werden, eine Art mahnender Spiegel bei dem Versuch, in der Welt zu sein und gleichzeitig darüber hinaus!

Denn laut ruft der Fährmann, wenn er sein Boot angelegt hat: Ko paraga? Ko paraga? Wer will hinüber zum anderen Ufer, ko paraga, wer will?

Literaturverzeichnis:

– BKS Iyengar: Light on Life, London 2005

– (1) Feuerstein. Die Yoga Tradition, Wiggensbach 2008, S. 241

– (2) Tatzky: Die Wege des Yoga, S. 15ff

– (3) Svatmarama: Hathayogapradipika, übersetzt v. H. Walter, Hildesheim 1997, S. 148

Grundlagenwerke:

– Die Bhagavadgita, übersetzt von K. Mylius, Wiesbaden 1979

– Patanjali: Yogasutra, übersetzt von R. Sriram, Beerfelden 2003

– Die schönsten Upanisaden: übersetzt von F. Dispeker, Freiburg i. B. 1994