Übungspraxis & Anatomie

Reihenfolge von Asanas

Von Geeta S. Iyengar

Yogapushpanjali, 1975-1998
Abhyasa Juni 2009 (Übersetzung: Ute Marek und Mareike Swadzba)

Im Kurs „Licht auf Yoga“ (B.K.S. Iyengar, Licht auf Yoga, O.W. Barth Verlag, 1993) folgen die Asanas, eins nach dem anderen, aufeinander. Von dem ersten, Tadasana, bis zum letzten, Savasana. Man findet Sarvangasana in der Mitte anstatt am Ende. Man  findet Savasana gefolgt von Pranayama, obwohl wir es heute vorziehen, die  Pranayamapraxis von der Asanapraxis zu trennen.

Sirsasana und Sarvangasana (Kopfstand und Schulterstand)

Soweit es die Praxis betrifft, kann man Sirsasana am Anfang üben und Sarvangasana am Ende, weil Sarvangasana dem Körper Ruhe verschafft. Auch können Sirsasana und  Sarvangasana direkt hintereinander erfolgen. Sirsasana muss immer zuerst kommen.  Wenn man Sirsasana geübt hat, ist es notwendig, im Verlauf der Sequenz auch  Sarvangasana (Sarvangasana, Halasana oder Setu Bandha) zu üben.

Man kann nicht nur Sirsasana üben und Sarvangasana vermeiden. Umkehrhaltungen geben immer Sensibilität und Energie. Man kann beide an den Anfang der Übungsreihe  setzen, wenn man sich matt oder energielos fühlt. Nachdem man Sirsasana und  Sarvangasana geübt hat, fühlt man Lebendigkeit und Sensibilität zurückkommen, das  Schwächegefühl vergeht – wenn es keine Schwäche aufgrund von Krankheit o. Ä. ist,  sondern ein Energieabfall. Wenn Sie sich schwach fühlen, können Sie nach  Sarvangasana Vorwärtsbeugen machen, das wird hilfreich sein.

Man sollte keine Rückbeugen nach Sarvangasana üben. In Sarvangasana bringt man das Gehirn in einen Zustand der Ruhe. Sarvangasana verringert den Blutdruck, deswegen ist es so hilfreich bei Bluthochdruck. Sarvangasana, Halasana und Setu Bandha sind alle  sehr hilfreich. Nach Sarvangasana bekommt der Blutdruck den Normalzustand.

Wenn Sie dann Rückbeugen praktizieren, werden die Nebennieren so sehr aktiviert, dass das Blut in den Kopf schießt, und diese Art von Ungleichgewicht ist sehr schlecht.

Einerseits erhöhen Sie Ihr Überlegenheitsgefühl beim Ausführen von Rückbeugen, und  andererseits, wenn Sie sich übermäßig verausgaben, beginnt ein Gefühl von  Unterlegenheit. Erregung und Depression sind die zwei Seiten einer Medaille.

Bei Rückbeugen werden die Nebennieren stimuliert. Auch in Sirsasana werden die Nebennieren aktiviert. Nach Aktivierung der Nebennieren müssen Sie etwas tun, um sie zu beruhigen, sonst verlieren Sie Ihr mentales Gleichgewicht, werden ärgerlich und  bleiben in einem wankenden Zustand. Um mentales und hormonelles Ungleichgewicht zu vermeiden, müssen Sie die Nebennieren beruhigen. In Sarvangasana werden die Nebennieren beruhigt, also müssen Sie Sarvangasana und Halasana nach  Rückwärtsbeugen üben. Statt Sarvangasanana zweimal zu üben, lassen Sie das erste aus und heben es für das Ende auf. Auf diese Weise wird Gleichgewicht hergestellt.

Nach Sarvangasana können Sie Vorwärtsbeugen oder seitliche Drehungen machen.  Vorbeugen und Drehungen beruhigen auch die Nebennieren, so erhalten Sie eine fortlaufende Beruhigung nach Sarvangasana.

Rückbeugen regen den Körper an, können aber gleichzeitig zu viel Energie oder Erregung hervorrufen.

Hingegen in  Vorwärtsbeugen und Drehhaltungen ist die Energie gezügelt. Das ist die Natur dieser Posen.

Daher sollten Sie schauen, dass Sie vor Sarvangasana alle Haltungen beendet haben, die aktivierend sind.

Aus diesem Grund ist es auch besser, intensive Stehhaltungen vor Sarvangasana zu üben. So können Sie nach den Stehhaltungen und Rückbeugen Sarvangasana und Halasana nutzen, um zur Ruhe zu kommen.

So sollte das Wesen Ihrer Übungspraxis sein.

Wenn Sie sich bis zum Äußersten aktivieren, sollte danach wieder Gleichgewicht hergestellt werden, um zur Ruhe zu kommen. Die Ruhe wird möglich durch Sarvangasana, Halasana, Setu Bandha und Viparita Karani. Am Ende soll die Ruhe dominieren.

Savasana

In jeder Übungsfolge steht geschrieben, dass Sie sich am Ende hinlegen und alle Nerven zur Ruhe bringen und Ausgeglichenheit schaffen etc. Wenn das mit Viparita Karani gemacht werden kann, oder wenn der gleiche beruhigende Effekt mit anderen Haltungen erreicht werden kann, so wie Sarvangasana, Halasana, Setu Bandha und Viparita Karani, dann ist Savasana nicht notwendig. Wenn Sie in Eile sind, Ihre Übungen abzuschließen, dann werden diese beruhigenden Asanas am Ende ihren Zweck erfüllen.

Normalerweise machen wir Savasana am Ende unserer Übungen. Aber unsere träge Natur ist so, dass wenn wir Savasana machen, wir in einen schläfrigen Zustand fallen. Wir sehnen uns alle danach, uns in Savasana zu legen, aber wir sollten nicht einfach unserer tamasischen Natur nachgeben. Die tamasische Natur muss in gewisser Weise gebrochen werden.

Wenn Ihr Savasana von satvischer Natur ist, ist es richtig. Aber wenn es Sie tamasisch macht, ist es nicht gut. Solange Sie kein Yogi sind, der alles erobert hat, werden Sie nach Ihrer Asana-Praxis müde sein, und Sie werden am Anfang [von Savasana] einen Moment der Ruhe erleben, der satvisch ist, der pur ist.

Ihr Körper braucht die notwendige Erholung, und Sie fühlen sich sehr gut. Aber dann bemerken Sie, dass das Gefühl von „notwendiger“ Entspannung vorüber ist, Sie aber liegen bleiben, weil Sie es genießen. Es wird eine sinnliche Übung.

Am Anfang steht eine scharfe Beobachtung, und Sie erlauben dem Teil, der angespannt ist, zu entspannen. [Wenn] Sie feststellen, dass Ihr Atem im Inneren tanzt, müssen Sie ihn beruhigen. Aber dann, wenn der Atem sich beruhigt, wenn die Zellen sich beruhigen und alles ruhig wird, beginnen Sie nach und nach, sich in Richtung „Sinnlichkeit“ zu bewegen. Das soll nicht passieren.

Als Lehrer geben Sie den Schülern Savasana. Für den Anfänger ist es gut, Savasana zu machen, dann wird er zumindest frei von Anspannung, und Sie wissen, dass er nicht an Bluthochdruck leidet, unter Kopfschmerzen oder anderen Problemen.

Aber in Ihrer eigenen Praxis kann die Frage aufkommen, ob Savasana satvisch ist oder nicht. Es wandelt sich nach und nach in einen tamasischen Zustand um. Ihr Geist ist zuallererst rajasisch, und nachdem Sie eine Weile vollkommen geruht haben, stellen Sie fest, dass Ihr Geist anfängt, Sie auszutricksen. Sie fangen an zu überlegen, was Sie zu tun haben, Sie beginnen, für den Moment unnötige Gedanken zu haben, obwohl sie in Ihrem täglichen Leben bedeutsam sein können. Bald kommen Gedanken an die Oberfläche des Bewusstseins. Nach außen mögen Sie keine Regung zeigen, aber innerlich tanzt Ihr  Geist. Das ist die rajasische Natur. Die tamasische Natur ist so, dass Sie vollkommen entspannt sind, und während Sie weder denken noch körperlich oder geistig gestört sind, können Sie in einen schläfrigen Zustand gleiten. Von außen mag alles genau richtig erscheinen, aber es ist so ein dumpfer Zustand, dass Sie in dem Augenblick, in dem Sie Savasana beenden, nur leer sind. Savasana sollte kein leerer Zustand sein.

Ihr Entspannungsprozess sollte so sein, das Sie Ihrem Inneren vollkommen wach gegenüberstehen. Ihr Bewusstsein sollte über den ganzen Körper ausgebreitet sein, Sie sollten sein Vorhandensein so fühlen, als würde es alles durchdringen. In dem Moment, wo dieses nachlässt, kommen Sie in die tamasische Natur. Savasana ist nicht bloß Entspannung, Sie müssen Zeuge dieser Entspannung sein. Das ist satvisch.

Nach Sarvangasana soll Ihr Savasana satvisch sein. Wenn Ihr Üben mit einer Haltung von satvischer Natur aufgehört hat, so wie Paschimottanasana oder Setu Bandha Sarvangasana, brauchen Sie nicht viel Savasana. Wenn Sie [nach Ihrem Üben] mit Pranayama weitermachen möchten, dann sind Sie [ohne Savasana] bereit, zu Pranayama überzugehen. Wenn Sie diese satvische Natur entwickelt haben, wenn Ihr Geist rein und ungestört ist und er nicht in den tamasischen Zustand gegangen ist, wenn Sie sich Ihrer Selbst und Ihrer Existenz bewusst geworden sind, dann sind Sie bereit für Pranayama.

Asanas vor Pranayama

Es sollte einen Abstand von mindestens fünfzehn Minuten zwischen Umkehrhaltungen und Pranayama geben. Diese Zeit kann Savasana gewidmet werden. Die Sequenz sollte  so sein: Umkehrhaltungen, Savasana und dann Pranayama.

Machen Sie nie Sirsasana und Viparita Dandasana nach Sarvangasana. Das beinhaltet auch Sirsasana in den Seilen. Auch Viparita Dandasana auf der Rückbeugebank mit dem Kopf nach unten ist eine Art Umkehrhaltung. Es ist keine vollständige Umkehrhaltung, weil die Beine nicht nach oben gehen, deswegen kann es während der Menstruation gemacht werden.

Die Beuge in Viparita Dandasana ist so, dass, da sich die vordere Seite der Wirbelsäule für die Rückbeuge nach hinten beugt, die Nerven in einem absolut wachen Zustand sind. Es ist beschwingend und anregend. Es ist sogar irritierend, wenn Sie zu viel machen.

Für Ihre Pranayama-Praxis sollten Anregung und Ruhezustand der Nerven ausgeglichen  sein. Die Nerven sollten in einem vollkommen wachen, aber nicht einem aufgeregten Zustand sein. Sie können Pranayama auch nicht in einem schläfrigen Zustand beginnen. Sie dürfen nicht träge und faul sein.

Wenn Sie an Bluthochdruck leiden, wird es wahrscheinlich sein, dass Sie in Viparita Dandasana mit dem Kopf nach unten Ihren Blutdruck noch etwas erhöhen, was vor Pranayama schädlich sein kann.

Also müssen Sie eine beruhigende Stellung machen. Es gibt immer ein Asana-Paar, was geübt werden muss. Wenn Sie Viparita Dandasana machen, dann ist Setu Bandha Sarvangasana das Pendant. Sarvangasana ergänzt sich mit Sirsasana. Wenn Ehefrau und Ehemann zusammen sind, dann herrscht ein gegenseitiges Verständnis und Harmonie im Haus. Genauso ist Harmonie im Ausrichten des Körpers nötig.

Wenn Sie Viparita Dandasana üben und danach Setu Bandha Sarvangasana, bekommt der Hals eine Krümmung, während Sie auf den Schultern und dem Nacken balancieren, und das beruhigt die Schilddrüse und Hypophyse. Die anregende Wirkung lässt nach, und die Nerven, die Sie in Viparita Dandasana aufgeweckt haben, werden wieder beruhigt. Ähnlich versetzt Sirsasana Sie in einen vollkommen wachen Zustand, während Sarvangasana beruhigt. Halasana beruhigt. Aber Lungen und Zwerchfell werden zusammengedrückt. Deshalb empfehlen wir [vor Pranayama] halbes Halasana.

Sirsasana und Viparita Dandasana stimulieren die Hypophyse, während Sarvangasana sie beruhigt. In Halasana sind Kehle und Kopf entspannter, und in Setu Bandha  Sarvangasana ist der Brustbereich freier. Wenn Sie in Halasana Druck im Brustkorb  verspüren, wird Setu Bandha Sarvangasana diesen Druck lösen.

Also können Sie vor Pranayama diese sechs Asanas in der folgenden Reihenfolge machen: Sirsasana, unterstütztes Viparita Dandasana, Sarvangasana, halbes Halasana, Setu Bandha Sarvangasana und Viparita Karani.

Wenn Sie weniger Zeit haben, sollten Sie nur beruhigende Asanas üben, wie Sarvangasana oder Halasana oder Setu Bandha Sarvangasana. Wenn Sie nur zehn Minuten Zeit haben, praktizieren Sie Setu Bandha Sarvangasana. Sie müssen in so einem Moment Ihre Übungspraxis den Erfordernissen anpassen.

Wenn ich zum Beispiel eine 9-Uhr-Klasse habe, kann ich nicht bis zur letzten Minute in Viparita Karani bleiben und dann plötzlich die Klasse beginnen. Denn wenn ich zu sehr in einen ausgeruhten Zustand gehe, macht es mich zu ruhig und gelassen. Eine friedvolle, satvische Geistesnatur ist nicht sehr gut zum Unterrichten. Sie benötigen vielmehr einen rajasischen Geisteszustand. Wachsamkeit ist zum Unterrichten erforderlich, auch für Pranayama. Wenn Sie unterrichten, müssen Sie  extrovertiert sein. Die Haltungen, die Sie introvertiert machen, passen dann nicht, da die Nerven stimuliert sein müssen.

Wenn ich wirklich Ruhe brauche, wenn ich mich wirklich verausgabt habe, dann erfrischt mich ein kurzes Viparita Karani. Aber wenn ich nur liege und für fünfzehn Minuten schlafe, dann versetzt es mich in einen tamasischen Zustand und in diesem Zustand zu unterrichten ist unmöglich. Daher müssen Sie darauf achten, mit welchen Asanas Sie Ihre Übungspraxis beenden.

Vor Pranayama sollte keine Aufregung herrschen, und der Blutdruck sollte nicht so variieren wie in Sirsasana, wo der Blutdruck erst steigt und später wieder fällt. Wenn der Blutdruck schwankt, können Sie sich nicht entspannen, wie es für Pranayama  erforderlich ist. Ihr Geisteszustand sollte ruhig sein. Sie müssen gelassen sein. Deshalb müssen Sie mit Sarvangasana, Halasana oder Setu Bandha Sarvangasana aufhören, oder Pranayama getrennt von der Asana-Praxis zu einer anderen Zeit üben. Am frühen Morgen oder am Abend in der Zeit der Dämmerung kann man Pranayama üben.

Dieser Sequenz zu folgen, wird den Geist ausgeglichen machen und Körper und Geist für die Pranayama-Praxis vorbereiten. Die Reihenfolge der Umkehrhaltungen ist wie eine Schwelle zwischen Asana und Pranayama. Sie energetisieren den Körper und beleben den Geist, ohne Aufregung zu schaffen. Zusätzlich halten diese Asanas den Geist ausgeglichen und das Gehirn aufnahmefähig. Sie müssen Ihren Geist auf solche Weise trainieren, sodass er bereit und fähig ist, in diesen passiven Zustand zu gehen, der notwendig ist für Pranayama.

Fotos: Florian Wagner