Übungspraxis & Anatomie

Yoga für Schulkinder

Von Dr. Geeta S. Iyengar

Yoga Rahasya Vol 5/1 1998
Abhyasa Nov 2017 (Übersetzung Birgit Meißner)

Yoga besitzt weltweite Anziehungskraft. Yoga ist eine Wissenschaft und eine Kunst, die den Geist kultiviert und die Persönlichkeit entwickelt. Pädagogen [in Indien] haben nun darüber nachzudenken begonnen, ob Yoga als Schulfach eingeführt werden sollte. Yoga ist jedoch ein weites Feld und die Schulbehörden wissen nicht, welche Aspekte von Yoga man an die Schüler heranführen soll. Einige der Verantwortlichen sind nur mit den philosophischen Aspekten von Yoga vertraut, während andere ausschließlich unterschiedliche Formen der Meditation kennen. Manche Lehrer stellen sich unter Yoga auch lediglich Entspannung in Savasana mit geschlossenen Augen vor. Einige Direktoren wiederum hegen Bedenken, da sie Yoga mit sanften, konventionellen Körperübungen gleichsetzen. Sie fragen sich, warum man diese altmodischen Yoga-Asanas unterrichten soll, wo es doch so viele moderne Formen fordernder Körperübungen gibt. All diese Zweifel zeugen von Unkenntnis.

Yoga Asanas sollten in der Schule eingeführt werden

Der Aspekt von Yoga, den Kinder im Alter von 6 bis 16 Jahren in der Schule lernen sollten, sind die Asanas. Die Asanas sind das einzige Glied des Yogaweges, das unmittelbar erfahrbar ist. Wenn Asanas richtig vermittelt und geübt werden, verleihen sie den Kindern eine solide körperliche und geistige Gesundheit und unterstützen ein ausbalanciertes Heranwachsen. Asanas eignen sich gut für Kinder, da diese grundsätzlich aktiv und von Natur aus aufgeschlossen sind. Kinder lieben die Aktion, Bewegung und Kreativität der Asanas. Daher werden Kinder die Asanas bereitwillig üben. Darüber hinaus sind Asanas ungefährlich und man kann die Kinder darin leicht korrigieren. Wenn man Kinder in der Mittelstufe mit Asanas vertraut macht, wird das Interesse an Yoga zur rechten Zeit geweckt. Später, in der Oberstufe, können die SchülerInnen, wenn sie gereifter sind, die höheren Aspekte des Yoga (Theorie, Philosophie, Pranayama usw.) aufgreifen.

Die Aufgabe der Yogalehrer

Die Rolle des Yogalehrers ist von höchster Wichtigkeit, wenn Yoga an Schulen mit Erfolg eingeführt werden soll. Der Lehrer muss bei den Kindern Interesse erwecken und in ihnen die Lust aufs Lernen entfachen. Er muss die Kinder inspirieren und begeistern und im Unterricht gute Laune verbreiten. Der Yogalehrer muss körperlich flink und geistig scharf sein. Er muss leidenschaftlich Yoga üben und in der Lage sein, die Asanas zusammen mit den Kindern durchzuführen, er darf sie nicht rein verbal in die Haltungen leiten oder befehligen. Dass er selbst gemeinsam mit den Kindern übt, ist von zentraler Bedeutung, da Kinder durch Zusehen und Nachahmen lernen. Ihre Augen erfassen Bewegungen schnell, aber lange Erklärungen verabscheuen sie. Davon abgesehen können schnelle und behände Bewegungsabläufe nicht erklärt werden, man muss sie direkt vermitteln.

Der Lehrer sollte sich daran erinnern, dass Kinder eine enorme Widerstandsfähigkeit haben und sich nicht gleich verletzen. Kinder beenden das Asana sofort, wenn etwas falsch läuft. Sie besitzen in diesem Alter eine ganz eigene Intelligenz, die sie selbst leitet und schützt. Sie sind nicht so stur wie in späteren Jahren, dafür aber sehr mutig.

Yoga an Schulen – freiwillig oder verpflichtend?

Es gibt eine Debatte darüber, ob Yoga an Schulen [in Indien] als Wahl- oder Pflichtfach eingeführt werden sollte. Ich habe Yoga sowohl an Schulen unterrichtet, wo es Pflichtfach war, als auch Schülergruppen, die den Yogaunterricht freiwillig gewählt haben. Die Psychologie und die geistige Einstellung in diesen beiden Gruppen war sehr unterschiedlich.

Im Pflichtunterricht wollten die Kinder gar nicht Yoga üben. Sie waren unwillig, frech und rebellisch. Bei diesen Kindern musste ich anders ansetzen: Ich begann damit, ihnen einfache Asanas beizubringen. Diese Asanas habe ich dann weiter vereinfacht, indem ich sie in leichten Schritten unterrichtet habe. Für Utthita Trikonasana z.B. bat ich sie, nur auseinander zu springen und die Arme zu strecken. Bei derart sanften und einfachen Bewegungen machten die Kinder spontan und bereitwillig mit. Nach ein paar Runden merkten die Kinder selbst, dass die Bewegungen schmerzfrei und sogar effektiv waren. Dann demonstrierte ich ein schwieriges, besonders ins Auge springendes Asana. Sogleich wollten die Kinder es auch versuchen. So konnte ich ihr Interesse wecken.

Die Kinder, die den Yogaunterricht freiwillig besucht haben, waren viel enthusiastischer. Sie waren lernbegierig und wollten stets etwas Neues lernen. Ihnen gefiel die Herausforderung und sie strengten sich an, um schwierige und fortgeschrittene Asanas zu lernen. Sie waren aufmerksame SchülerInnen und wollten es in immer neuer Frische wieder und wieder versuchen.

Die unterschiedliche Einstellung der Kinder zu Yoga

Mehr als 20 Jahre habe ich Kinder mit unterschiedlichem sozioökonomischen Hintergrund unterrichtet und dabei einiges beobachtet, was ich hier mitteilen will. Dazu teile ich die Schulen in vier Kategorien ein:

  1. a) Schulen der Unterschicht: Die Kinder dort waren oft unterernährt und im Allgemeinen waren sie sehr aufrichtig. Diese armen Kinder schreckten niemals vor „königlicher“ Anstrengung zurück. Sie waren agil, obwohl sie zerbrechlich aussahen. Sie waren mutig beim Üben und hatten einen sehr guten Gleichgewichtssinn für Haltungen wie Sirsasana, Bakasana und Urdhva Kukkutasana. Diese Kinder können eine hohe Geschicklichkeit in der Kunst des Yoga erwerben, wenn man sie besser ernährt.
  1. b) Schulen der Mittelschicht: Diese Kinder waren größtenteils gute Schüler. Sie nahmen begeistert und aufgeschlossen am Yogaunterricht teil. Beim Üben der Asanas zeigten sie Beharrlichkeit, Reife und Stabilität, die den Kindern der Unterschicht fehlte. Sie konnten subtile Punkte schneller erfassen und die Asanas länger halten. Die Zweifel und Fragen dieser Kinder waren klug.
  1. c) Schulen der Oberklasse: Diese Schüler waren oft faul und langsam. Sie waren eher extrovertiert und mochten Yoga nicht, da es nichts an sich hat, womit man angeben kann. Es war schwer, ihre Geisteshaltung zu ändern und zu kultivieren. Diese Kinder waren widerspenstig, obwohl die Schule ihnen strikten Gehorsam aufzwang. Ich musste sie auf sanfte Art angehen und formen, um sie zu sensibilisieren. Ich musste oft sehr streng sein und meine Überlegenheit zeigen, um sie Demut zu lehren. Freundlich auf sie zuzugehen – wie bei den anderen beiden Gruppen – funktionierte bei diesen Kindern nicht.
  1. d) Ländliche Schulen: In diesen Schulen war die Situation ganz anders. Die Mädchen waren sehr schüchtern, während die Buben ungestüm waren. Die Mädchen trugen in der Schule lange Röcke und hatten keine spezielle Kleidung für die Yogastunde. Das bedeutete eine Einschränkung, denn ich konnte nur Stehhaltungen unterrichten, Sitzhaltungen waren in dieser Kleidung nicht möglich. Die Schule konnte keinen eigenen Raum für Yoga zur Verfügung stellen und der Unterricht fand im Freien statt. Den Kindern fehlte es an Ausstattung, aber sie waren dennoch begeisterungsfähig, gehorsam und respektvoll gegenüber Lehrern und Älteren. Sie waren ehrlich, einfach und geradeheraus.

In welchem Alter sollen Kinder mit Yoga beginnen?

Sowohl die verantwortlichen Schulbehörden als auch Eltern fragen sich, in welchem Alter Kinder mit der Yogapraxis beginnen sollen. Kinder können ab 6 Jahren mit Yoga anfangen. Kinder zwischen 5 und 6 Jahren können ein paar Asanas üben, aber für die wirkliche Yogapraxis sind sie zu jung. Die statischen Haltungen eignen sich für diese Kinder nicht und sie können auch noch nicht viele dynamische Bewegungen durchführen. Kinder sind in diesem Alter sehr biegsam und weich, aber ihre Gelenkigkeit, Lebendigkeit und Dehnbarkeit sollte in ihrem zarten Alter noch nicht strapaziert werden. Es fehlt ihnen an Muskelkraft und daher ist eine Yogastunde von 25 oder 35 Minuten für sie zu lang. Aber man kann kleinen Kindern erlauben, spielerisch und nebenbei ein paar Haltungen zu lernen; man muss ihnen gestatten, natürlich aufzuwachsen und sie sollen nicht zu früh Disziplin erfahren.

Unterrichtsinhalt

Der Lehrplan soll vollständig und umfangreich sein. Er soll ein Leitfaden sein, der die grundlegenden Anforderungen und die Struktur eines Yogakurses vorgibt. Man beginnt mit einfachen Asanas und schreitet fort zu den Schwierigen. Diese Asanas müssen in der richtigen Abfolge unterrichtet werden. Anfangs sollen die Kinder lernen, richtig zu stehen und zu sitzen. Der Lehrer muss die grundlegenden Fehler der Kinder in einer Haltung sehen und korrigieren können. Ein starrer Lehrplan ist nicht zweckdienlich, sonst verlieren die Kinder das Interesse.

Oft kommt die Frage auf, welche Asanas in der Schule unterrichtet werden sollen. Leider beschränken die meisten Yogalehrer an Schulen ihren Yogakurs auf ein paar Grundhaltungen. Sie unterrichten z.B. Padmasana, Matsyasana, Dhanurasana, Bhujangasana, Sirsasana, Sarvangasana, Halasana und ein paar weitere Haltungen.

Man sollte sich nicht auf ein paar Haltungen beschränken, denn Kinder lernen schnell. Ein Kind kann leicht 30 bis 40 Asanas pro Jahr lernen, auch wenn es nur einmal pro Woche im Yogakurs übt. Kinder, die zwei oder mehr Stunden pro Woche besuchen, benötigen natürlich einen Lehrplan mit mehr Asanas. Kinder brauchen die Vielfalt und den Reiz des Neuen. Indem sie eine Vielzahl an Asanas üben, können Kinder die verschiedenen Bewegungsmöglichkeiten ihres Körpers erfahren. Der Reiz des Neuen ist notwendig, damit sie ihr Interesse am Yoga behalten. Kinder langweilt es, Haltungen jedes Mal zu wiederholen. Deshalb muss der Lehrer innovativ sein, um das Interesse der Kinder an den uralten Asanas wach zu erhalten.

Ein Lehrer wird keinen Fortschritt erzielen, wenn er versucht, ein Asana zu perfektionieren, bevor er oder sie neue Asanas einführt. Während einige wichtige Asanas in jeder Stunde unterrichtet und wiederholt werden müssen, gibt es andere, die man nur von Zeit zu Zeit in den Unterricht integriert. Zudem kommt die Perfektion einiger Asanas erst durch das Üben anderer zustande. Wenn einer Gruppe von Kindern beispielsweise Padmasana schwer fällt, müssen sie verschiedene Haltungen üben, die Padmasana vorbereiten, wie zum Beispiel Gomukhasana, Virasana, Eka Pada Bakasana, Utthita Hasta Padangusthasana, Ardha Padmasana usw. In ähnlicher Weise sollte man den Zyklus Paschimottanasana – Halasana regelmäßig üben, um Halasana zu verbessern.

Yogalehrer hegen manchmal Bedenken, wenn es darum geht, Kindern bestimmte Asanas beizubringen. Beispielsweise sind manche Lehrer unsicher, ob sie Upavista Konasana unterrichten sollen, obwohl es für Kinder ziemlich leicht ist, die Haltung auszuführen. Leider üben einige Lehrer sehr viele Asanas selbst nicht. Sie nehmen an, dass die Kinder eingeschränkt sind, weil sie die Fähigkeiten der Kinder anhand ihrer eigenen Beschränkung abschätzen.

Manche Lehrer haben Angst, Kinder in Sirsasana zu unterrichten. Diese Ängste sind unbegründet. Sirsasana nimmt die Müdigkeit und erfrischt das Gehirn. Schüler sollten Sirsasana regelmäßig üben, da sie viel lernen müssen. Während der Prüfungszeit sollten Kinder etliche Umkehrhaltungen, wie z.B. Sirsasana, Sarvangasana, Halasana, Setu Bandha Sarvangasana, Viparita Karani etc. üben, denn diese beseitigen sowohl die Erschöpfung als auch körperliche und geistige Anspannung. In unserem Institut praktizieren Kinder, die auf Prüfungen lernen, diese stimulierenden und regenerierenden Asanas regelmäßig. Sie üben zudem seitliche Drehungen der Wirbelsäule, um Rücken- und Nackenschmerzen zu vertreiben. Auch Sanmukhi Mudra machen sie, um die Augen zu entspannen.

Asanas für Kinder

Die Asana-Sequenz muss sorgfältig ausgearbeitet sein, damit sie hilft, die anatomische Ausrichtung und die physiologische Funktionsfähigkeit zu unterstützen. Folgende Asana-Gruppen eignen sich für den Yoga-Unterricht von Kindern:

  1. Stehhaltungen, z.B. Utthita Trikonasana
  2. Sitzhaltungen, z.B. Virasana
  3. Vorwärtsbeugen, z.B. Paschimottanasana
  4. Umkehrstellungen, z.B. Sirsasana
  5. Liegende Haltungen, z.B. Matsyasana
  6. Auf dem Bauch liegende Haltungen, z.B. Salabhasana
  7. Seitliche Drehungen, z.B. Bharadvajasana
  8. Rückbeugen, z.B. Urdhva Dhanurasana
  9. Armbalancen, z.B. Bhujapidasana
  10. Beinbewegungen z.B. Supta Padangusthasana
  11. Verknotungen des Körpers, z.B. Yoganidrasana

Sehr oft werden Yoga-Asanas fälschlicherweise für körperliche Verrenkungen gehalten. Der/die Lehrende muss erklären, dass die Kunst bei der Ausführung von Yogasanas darin besteht, die Glieder, Muskeln und Organe in den jeweiligen Haltungen korrekt zu platzieren.

Statische versus dynamische Asanas für Kinder

Wenn man Kindern zu viele statische Asanas lehrt, langweilen sie sich und schweifen ab. Daher soll der Lehrer ganz bewusst statische Bewegungen mit dynamischen, schnellen Bewegungen kombinieren. Dynamische Bewegungen aktivieren Gelenke und Muskeln, die die Kinder nicht so oft bewusst einsetzen, daher machen sie steife Körper geschmeidig. Dies bereitet Kinder auf Asanas vor, die sie nicht einfach ausführen können. Außerdem haben dynamische und schnelle Bewegungen auch eine positive Wirkung auf den Geist. Sie beseitigen Lethargie und Angstzustände, die ihrerseits die Kinder daran hindern, sich ohne Einschränkung frei zu bewegen. Sie brechen mentale Blockaden auf und flößen Kindern Mut ein. Das kombinierte Üben statischer und dynamischer Bewegungen ermöglicht Kindern den Zugang zu ganz neuen Bewegungsabläufen. Insgesamt wirken die schnellen Bewegungen wie eine „Gehirnwäsche“ und erfrischen die Kinder.

Geeignete Asana-Sequenzen für den Kinder-Yoga-Unterricht

  1. a) Der Zyklus von Surya Namaskar (allg. Jumpings genannt). Dieser beinhaltet die folgende Asana-Reihe: Urdhva Hastasana, Uttanasana, Adho Mukha Svanasana, Urdhva Mukha Svanasana, Chaturanga Dandasana und umgekehrt zurück. Diese Haltungen können in unterschiedlicher Reihenfolge und Kombination geübt werden, die neue Muster ergeben.
  2. b) Man kann alle Stehhaltungen nacheinander üben, ohne jedes Mal in Samasthiti zurückzukehren.
  3. c) Man kann alle Stehhaltungen am Stück auf der rechten Seite üben und mit Samasthiti enden. Dann übt man alle Stehhaltungen auf der linken Seite.
  4. d) Der Lehrer kann folgende Asanas miteinander verbinden: Utthita Trikonasana, Ardha Chandrasana, Virabhadrasana, Parivrtta Parsvakonasana, Utthita Trikonasana, Parsvottanasana, Urdhva Prasarita Ekapadasana, Utthita Hasta Padangusthasana. All diese Haltungen werden ohne Unterbrechung hintereinander geübt. Derselbe Zyklus wird auf der anderen Seite wiederholt. Auch hier sind Umstellungen und Neukombinationen möglich.
  5. e) Kombiniere zwei oder mehr Asanas und wiederhole diese Abfolge mehrfach, wie z.B. Parsvottanasana, Urdhva Prasarita Ekapadasana.
  6. f) Man kann den Zyklus Navasana-Halasana mit jeder Vorwärtsbeuge verbinden.
  7. g) Jede Vorwärtsbeuge und jede Stehhaltung kann in die Jumpings integriert werden.
  8. h) Man kann alle Vorwärtsbeugen nacheinander erst auf der rechten und anschließend auf der linken Seite üben.
  9. i) Kombiniere jede Vorwärtsbeuge mit seitlichen Drehungen.
  10. j) Jede Vorwärtsbeuge kann mit Rückbeugen wie Urdhva Dhanurasana und Ustrasana kombiniert werden.
  11. k) Bilde eine Reihe mit je einer Vorwärtsbeuge im Wechsel mit je einer Rückbeuge.
  12. l) Fortgeschrittene und schwierige Haltungen wie Bakasana und Yoganidrasana kann man in Stufen unterrichten, wobei man jede weiterführende Bewegung oder Aktion nacheinander einführt und jedes Zwischenstadium separat übt.

Der Lehrer kann und soll die oben genannten Beispiele mehrfach umstellen und neu kombinieren. Die Kinder genießen die dadurch entstehende Vielfalt und profitieren davon.

Tipps für den Kinder-Yoga-Unterricht

  1. a) Schwierige und komplexe Haltungen können auch an der Wand unterrichtet werden, z.B. Sirsasana, Urdhva Dhanurasana, Kapotasana, Die Unterstützung durch die Wand verleiht dem Kind Mut und hilft ihm, seinen Gleichgewichtssinn zu entwickeln. Die Anstrengung der Kinder wird in angemessene Bahnen gelenkt und sie werden durch diese Herangehensweise vor Fehlern oder Unfällen bewahrt.
  2. b) Man kann die Kinder gelegentlich länger in der ersten Haltung lassen. Das entwickelt ihre Ausdauer.
  3. c) Der Lehrer kann durchgehend die Anmut im Bewegungsablauf der Asanas betonen, und zwar beim Einnehmen der Haltung, beim Verweilen darin und beim Auflösen.
  4. d) Manchmal soll der Lehrer die Kinder beim Üben der Asanas auf die Atmung aufmerksam machen.
  5. e) Der Lehrer kann auch eine Verbindung herstellen zwischen der technischen Ausführung und der Wirkung des Asanas.

Wenn man SchülerInnen auf diese Weise unterrichtet, entwickeln sie Anmut, Geschicklichkeit, Freiheit, Mut, Schnelligkeit, Beständigkeit, Gleichgewichtssinn, Wendigkeit, Geschmeidigkeit, Schärfe und sowohl körperliche als auch mentale Kontrolle.

Einführung von Yoga-Theorie in Schulen

Schulkinder mögen keine speziellen Stunden über Yoga-Theorie, weil sie das trocken und langweilig finden. Sie verstehen und schätzen die praktischen Wohltaten der Asanas. Sie hören aufmerksam zu, wenn der Lehrer die Bedeutung der Yogasanas erwähnt, während er Asanas unterrichtet. Die Kinder sollen im Verlauf des Asana-Unterrichts etwas über Anatomie und Physiologie erfahren und darüber, wie die Asanas Körper und Geist gesund halten. Die Kinder hören sehr gerne zu, wenn man ihnen etwas über die Bedeutung und die methodologischen Studien erzählt, die den Asana-Namen zu Grunde liegen. Sie mögen es auch, die Namen der Asanas laut zu wiederholen.

Formelle Yoga-Theorie kann auf dem Niveau der Oberstufe eingeführt werden. Allerdings braucht man zu diesem Zweck keine eigene Theorie-Stunde, dies wäre für die SchülerInnen eine unnötige Belastung. Stattdessen kann der Lehrer ab und an einen Vortrag über Yoga-Theorie halten.

In solch einem Vortrag kann er die SchülerInnen über folgende Themen informieren:

  1. Das Konzept des Yoga
  2. Die Definition von Yoga in einfachen Worten
  3. Das Konzept des Astanga-Yoga
  4. Die Einführung in Bahiranga Sadhana zur Entwicklung einer altruistischen Einstellung
  5. Das Konzept der Moral sollte durch regelmäßige Gebete, gutes Benehmen, Charakterbildung, Gesundheitsbewusstsein in Bezug auf Körper und Geist etc. vermittelt werden.
  6. Die Rolle der Asanas zur Schulung von Gesundheit, Charakter, Konzentration, Intelligenz etc.
  7. Der Name des Asanas, seine Bedeutung, Aussprache, Nutzen, Ziel und Wirkung
  8. Das Interesse soll genährt werden, indem man Aufnahmen, Filme, Videos attraktiver und schwieriger Asanas zeigt und dabei den Nutzen der Yoga-Praxis erläutert.
  9. Live Demonstrationen der Asanas, begleitet von einer Erklärung in einfachen Worten, sind eine effektive Methode, um die Kinder zu motivieren.

Einige Yogalehrer springen zu den schwer verständlichen Aspekten von Patanjalis Yogasutren, anstatt einfache Erklärungen und Informationen zu geben. Sie versuchen, den Kindern schwierige Konzepte wie Kriya Yoga und Samadhi zu erklären. Diese Form von idealistischer Theorie ist nicht angemessen, denn Kindern können solch abstrakte Konzepte nicht zu ihrem Alltag und ihrer persönlichen Erfahrung in Beziehung setzen.

Yama– und Niyama-Unterricht bei Kindern

Die ethischen Prinzipien von Yama und Niyama sind für Kinder sehr wichtig, aber sie können nicht körperlich vermittelt oder direkt unterrichtet werden. Moralische Prinzipien müssen erklärt werden und Kinder sollen ermuntert, aber nicht gezwungen werden, ihnen zu folgen.

Pranayama ist nichts für Kinder

Pranayama ist für die kindliche Natur nicht geeignet und man muss Yogalehrer davor warnen, ihnen Pranayama-Unterricht zu erteilen. Pranayama muss mit ungeheurer Aufmerksamkeit geübt werden. Es ist unmöglich, zwei Kinder nebeneinander zur Ruhe zu bringen. Die Psychologie von Kindern einer Gruppe funktioniert derart, dass sie, wenn sie zusammen sind, weder ernst noch kontrollierbar sind. Pranayama erfordert Beständigkeit, Ernsthaftigkeit und scharfe Beobachtung, während Kinder von Natur aus verspielt, frech und ruhelos sind.

Es gibt auch praktische Probleme, die den Pranayama-Unterricht von Kindern betreffen. Kinder können ihre Augen nicht sehr lange geschlossen halten. Wenn man sie anweist, es zu tun, brechen sie in Lachen aus. Wenn der Lehrer ein bestimmtes anatomisches Detail erklärt, lachen die Kinder und fangen an herumzualbern. Wenn Du Kinder bittest, still zu sitzen, lassen sie die Wirbelsäule sinken. Hingegen können Kinder die Wirbelsäule beim Üben der Asanas besser aktivieren als Erwachsene. Wenn Du Kinder aufforderst, bewusst zu atmen, bewegen sie Brust und Bauch dynamisch und mechanisch.

Überdies ist Pranayama für Kinder eine monotone Aufgabe, die ihre Intelligenz nicht zu fordern scheint. Es lässt keinen Raum für ihre Kreativität, und sie finden nichts Interessantes oder Beeindruckendes daran. Sie verspüren durch das Üben von Pranayama weder unmittelbare Ergebnisse noch ein Erfolgserlebnis. Kinder werden „zu erwachsen“, wenn man sie Pranayama lehrt. Bhastrika Pranayama ist für Kinder gefährlich, da es feine Blutgefäße und Gehirnzellen schädigen kann. Daher soll man Kinder nicht in Pranayama unterrichten.

Wie soll man Kinder aber auf Pranayama vorbereiten? Älteren Kindern sollte man den Atem beim Asana-Üben bewusst machen, das ist die ausreichende Vorbereitung für Kinder. Man kann sie lehren, mit unterstütztem, gut geöffnetem Brustkorb auszuruhen, falls sie beim Üben der dynamischen Asanas müde werden. Sie werden sich schnell erholen und die Bedeutung korrekter Atmung praktisch erfahren. Da die Asanas den inneren Körper reinigen, können sie verwendet werden, um Kinder auf Pranayama vorzubereiten, ohne auf den Pranayama-Prozess direkt einzugehen.

Shatkriyas sind nichts für Kinder

Yogalehrer debattieren darüber, ob Schulkinder die Shatkriyas [die sechs Reinigungstechniken Dhauti, Neti, Basti, Nauli, Tratak, Kapalabhati] lernen sollen. Die Hatha Yoga Pradipika stellt klar, dass Shatkriyas nicht für jeden Menschen geeignet sind. Diese Kriyas sind nur für Leute, deren Körpersäfte völlig verunreinigt sind – für kranke Menschen. Außerdem führen Kriyas in die Abhängigkeit. Wenn ein Mensch Kriyas gewohnheitsmäßig vollzieht, hat er oder sie ohne das Ausführen der Kriyas Probleme, Routinebewegungen durchzuführen, wie z.B. den Darm zu leeren oder einfach weich zu atmen. Daher ist es keinesfalls ratsam, die Shatkriyas bei Schulkindern einzuführen.

Ein anderer Grund, warum Kinder Shatkriyas vermeiden sollen, sind mögliche Hygieneprobleme, wie z.B. ein schmutziger Faden, verunreinigtes Wasser etc. Das erste Niyama Saucha ist für Kinder genug. Es genügt, Kindern beizubringen, sich die Zähne zu putzen, ihre Zunge zu säubern, zu gurgeln, sich die Nase nur sanft zu putzen, regelmäßig den Darm zu leeren, zu baden und gute Gewohnheiten zu pflegen. Wenn Kinder zusätzlich Yogasanas üben, werden sich ihre Körperfunktionen wie Verdauung, Ausscheidung, etc. mit Sicherheit verbessern.

Bandhas sind nichts für Kinder

Kinder sollen nicht Uddiyana oder andere Bandhas lernen, da sie sich durch das Ausüben dieser Bandhas ihres Unterleibs und ihrer Geschlechtsorgane bewusst werden. Diese Organe befinden sich während der Kindheit in einem funktionellen Schlafzustand. Wenn Kinder diese Bandhas ausüben, wird ihre Physiologie bereits vor der Pubertät zu funktionieren beginnen. Als Ergebnis kann es bei Jungen zu vorzeitigem Samenerguss kommen oder bei Mädchen kann die Menstruation einsetzen, obwohl sie geistig noch unreif sind. Es wäre für die Gesundheit der Kinder schädlich, wenn sie körperlich zur falschen Zeit reifen. Daher soll man Kinder nicht in Bandhas unterrichten.

Zusammenfassung und Schlussfolgerung

Zunächst sollen Kinder durch dynamische und geschickte Bewegungen Asanas erlernen. Dies entwickelt Aufgewecktheit und gute Beweglichkeit. Zusammenfassend gilt also :

  • Schulkinder sollen nur Yogasanas lernen.
  • Die Anzahl der Asanas soll nicht eingeschränkt werden. Regelmäßig übende Kinder soll man auch in fortgeschrittenen Asanas unterrichten.
  • Kinder brauchen Vielfalt und den Reiz des Neuen, Wiederholungen sind für sie uninteressant.
  • Kinder finden langsame Bewegungen langweilig, denn sie sind stets energiegeladen.
  • Perfektion und Genauigkeit in den Asanas sollen schrittweise eingeführt werden.
  • Einfache Yoga-Theorie soll gelegentlich in den Unterricht einfließen.
  • Kinder sollen kein direktes Pranayama lernen. Sie sollen durch die Asanas, welche die gesunde Atembewegung fördern, auf Pranayama vorbereitet werden.
  • Kinder sollen keine Shatkriyas und Bandhas lernen.

So werden Kinder aktiv, schlau, flexibel, beweglich, schnell und ausdauernd. Der Unterricht soll zu Sthiti, zur Standfestigkeit führen. Um Sthiti in den Körper zu bringen, sollten die körperlichen Funktionen in Bestform sein. Die dynamischen Bewegungen verbessern den Stoffwechsel und die körperliche Gesundheit. Und somit tragen sie dazu bei, Sthiti zu erzeugen. Von Sthiti aus soll der Unterricht weiterführen zur Schulung von Gleichgewichtssinn, Ausgeglichenheit und Stabilität. Dieses innere Gleichgewicht ist das Ergebnis von Konzentration, die sich aus der Standfestigkeit des Körpers entwickelt. Wenn das Kind sein Gleichgewicht gefunden hat, soll der Unterricht zu Ruhe und innerem Frieden führen. Zudem muss man die Kinder lehren, die Asanas geschickt, ohne unnötige Anspannung und Verzerrungen auszuführen. Das Kind erreicht dann einen Zustand von Leichtigkeit in den Asanas, wenn es die feine Balance zwischen Streckung und Entspannung findet. In Sahajavastha enden die Bemühungen. Dieser Prozess führt schließlich zu einem Zustand von Ruhe, Stille und Nicht-Dualität. Wenn es mit den problematischen Jugendjahren konfrontiert wird, ist dies für ein Kind äußerst wichtig. Um diesen Zustand zu erreichen, muss die Vorbereitung im Alter von 7 Jahren beginnen. Die Reise von der Kindheit zum Erwachsensein, von der Aufgewecktheit zu einem nicht-dualen Zustand ist eine fortschreitende Reise, eine Erfüllung, die ein Kind erreichen kann, wenn es das dritte Glied des Astanga Yoga praktiziert.

Fotos: Dominik Ketz